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     1296  1 Kommentar Mein Lieblings-Ökonom ist tot

    Wer sich ein in seinem Leben ein bisschen mit Ökonomie beschäftigt hat, den kann es ja derzeit wirklich nur grausen.

    Heute dilettiert unsere Politik in diesem Bereich in einem Maße, wie es nicht einmal Erstsemestern an der Universität passieren würde. Nehmen wir nur einmal die Zeitökonomie, die Raumökonomie und die Aufmerksamkeitsökonomie.

     

     

    Wer möchte, dass sich Menschen nicht so dicht auf die Pelle rücken, der muss die Räume größer machen und die Zeit strecken.Und wer möchte, dass bestimmte Dinge nicht zu viel Aufmerksamkeit erlangen, die zu Panik führen könnte, sollte auch nicht zu viel davon reden.

     

    Schauen wir auf Ostern: Das Ziel ist es, hier möglichst gut geschützte Abläufe zu gewährleisten. Um beim Einkaufen die Infektionen unwahrscheinlicher zu machen, wäre es angebracht, vielleicht noch einen Tag länger als sonst die Läden offen zu lassen, um das geordnet über die Bühne zu bringen.

     

    Die Politik hat jedoch genau den umgekehrten Weg gewählt. Jedenfalls zuerst. Bei uns hier war am Mittwoch allerdings trotzdem bereits bereits Panik angesagt, alle haben gekauft, als gäbe kein Morgen. Man hat die Aufmerksamkeit auf das Einkaufen gelegt und dadurch einen Schaden angerichtet, den es anderweitig nicht gegeben hätte.

     

    Würde die Politik einfach nur den Mund halten, würde alles viel besser laufen.

     

    Die Politiker können es halt nicht. Sie begreifen die Ökonomie nicht, und wer das nicht tut, kann auch nicht planen, und wer nicht planen kann, erleidet Schiffbruch. Das ist die Situation unseres Landes in wenigen einfachen Sätzen ausgedrückt.

     

    Die Politik scheitert bereits am Einfachsten, die Wissenschaft hingegen muss sich den wirklich großen Herausforderungen stellen. Denn die Wirtschaft als Ganzes in Form eines kohärenten, in sich geschlossenen und widerspruchslosen Systems zu erklären, ist weit schwieriger.

     

    Bei Professor Hajo Riese habe ich gelernt, dass es das höchste und wichtigste Kriterium jeder Theorie ist, eine innere Geschlossenheit aufzuweisen. Sie muss widerspruchsfreie und eindeutige Aussagen liefern. Dann kann sie richtig sein. Verfehlt sie diesen Anspruch jedoch, dann ist sie ganz sicher falsch.

     

    Jeder, der heute ruft „Listen to the science!“ sollte das wissen.

     

    Hajo Riese war mein Lehrer und ich habe nahezu alles, was mir heute bedeutsam ist, von ihm gelernt. Erst am letzten Wochenende habe ich erfahren, dass er bereits am 25. Januar dieses Jahres im Alter von 88 Jahren gestorben ist. Ich bin sehr traurig.

     

    Die wichtigste Erkenntnisse aus der Riese-Zeit bestehen für mich allerdings keinesfalls in positiven Aussagen, mit denen ich behaupten könnte, zu wissen, was gerade der Fall ist und wie die Zukunft aussieht. Nein, es sind vielmehr die negative Aussagen, die die wirklichen Erkenntnisse bringen, also gleichsam die Ausschlusskriterien. Ich merke sofort, wenn etwas nicht zusammenpasst und daher nicht stimmen kann.

     

    Zum Beispiel: Das Problem der heutigen Modellökonomie besteht darin, dass sie genauso ohne Geld wie auch mit Geld funktioniert. Ihre Aussagen sind gleich, egal ob mit Geld gekauft wird oder nur Güter getauscht werden. Geld spielt hier also keine Rolle.

     

    Diese Modelle sind also für beide Fälle richtig. Was jedoch immer richtig ist, ist definitiv falsch.

     

    Und jeder Börsianer weiß natürlich, welch wichtige Rolle das Geld spielt. Dazu braucht er gar keine Theorie.

     

    Hajo Riese hat versucht, diese Modelle zu ändern und zu einer rein monetären Zinsbestimmung zu kommen.

     

    Und ich kann Ihnen nur sagen, es war eines der großartigsten Erlebnisse meines Lebens, in diesem Diskussionsprozess dabeigewesen zu sein.

     

    Was ist dabei jedoch herausgekommen? Ich fürchte gar nichts. Und der Grund liegt darin, dass es heute keine Denker vom früheren Schlag mehr gibt, weil heute generell niemand mehr denkt, sondern nur noch gerechnet wird.

     

    So können wir denn auch genau berechnen, wann die Erde anfängt zu schmelzen, doch dass wir gerade jetzt, in diesem Moment, mit dem Kopf gegen die Wand laufen, das merken wird nicht.

     

    Hallelujah!

     

     

    Bernd Niquet

     

    berndniquet@t-online.de

     

     


    Bernd Niquet
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    DER NEUNTE BAND VON "JENSEITS DES GELDES" IST ERSCHIENEN: Bernd Niquet, Jenseits des Geldes, 9. Teil, Leipzig 2023, 648 Seiten, 23,50 Euro

    Leseprobe: "Jenseits des Geldes".

    Eigentlich war ich vollkommen sicher, dass jetzt die Zeit dieser ganzen Auseinandersetzungen hinter mir lag. Deswegen hatte ich auch extra meine Mietrechtschutzversicherung gekündigt. Dann habe ich aber doch einmal in die Betriebskostenabrechnung hineingeschaut und musste unwillkürlich rechnen. 29.220 Euro im Jahr 2018 für die Reinigung der Treppen und Flure, das sind 93 Euro pro Haus pro Woche. Ich würde das jeweils in zehn Minuten schaffen, doch selbst wenn die ungelernte Hilfskraft zwanzig Minuten braucht, sind das 279 Euro Stundenlohn, den die Leiharbeitsfirma dafür einfährt. Wer dabei nicht an Sizilien denkt, kann eigentlich nicht mehr voll bei Verstand sein.

    Bernd Niquet ist Jahrgang 1956 und wohnt immer noch am letzten grünen Zipfel der Failed Stadt Berlin. Die ersten acht Teile von „Jenseits des Geldes“ sind ebenfalls im Engelsdorfer Verlag erschienen, und zwar in den Jahren 2011, 2012, 2013 sowie 2018, 2019, 2020, 2021 und 2022.

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    Verfasst von Bernd Niquet
    Mein Lieblings-Ökonom ist tot Heute wird nicht mehr nachgedacht, sondern nur noch gerechnet