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     697  0 Kommentare Der Quatsch mit der Mobilität

    Eigentlich ist es völlig unvorstellbar, dass es jemals ein Leben vor dem Zeitalter der Mobilität gab, oder?

    Vor dem Haus steht ein Auto mit aufgedruckter Werbung für Mobilität. Das nenne ich konsequent, selbst im Herumstehen pro Mobilität. Das ist wie beim Joghurt, denn der ist auch immer probiotisch, egal, wo er sich befindet.

     

    Irgendwie ist das aber merkwürdig mit den Menschen heute, die wohl nur noch in der Mobilität ihr Glück finden können. Dabei wirken sie allesamt so entsetzlich viel trauriger und getriebener als die Generationen vor ihnen.

     

    Die Philosophen reden ja auch in Hinsicht auf das Glücklichsein immer von der Selbstfindung und dem Verwurzeln. Doch wer hört denn heute noch auf solche Leute?

     

    Wer sich heute nicht wohl fühlt, geht zum Psychologen und sagt: Machen Sie bitte meine Depression weg! Bis zum Urlaub muss die unbedingt verschwunden sein.

     

    Doch wie könnte derjenige, der stetig unterwegs ist, überhaupt je verwurzeln? Denn am Auto möchte doch wohl ernstlich niemand festwachsen, oder?

     

    Und die Selbstfindung? Wenn man dauernd auf Achse ist, hat man sich genauso schnell wieder verloren, wie man sich vorher gefunden hatte. Und so reist man dann stets dem eigenen Ich hinterher, obwohl man das doch die ganze Zeit im Schlepptau mit sich führt. Man müsste nur mal in den Rückspiegel schauen.

     

    Ich denke, wenn die Mobilität einen evolutorischen Vorteil bringen würde, dann hätte die Natur sie längst implementiert. Das hat sie im Übrigen sogar, aber nur für die Hungerleider, die sonst nichts zu fressen hätten.

     

    Und genau deshalb müssen die heutigen Lohnsklaven natürlich genauso mobil sein wie manche Tiere.

     

    Die hedonistische Mobilität führt hingegen zu nichts, außer zur Klimakatastrophe. Wenn die Menschen sich selbst nicht mehr mögen und vor sich selbst fliehen, tendiert der Flurschaden gegen unendlich.

     

    Und wenn der Hedonismus evolutorischen Vorteil bringen würde, dann hätte die Natur ihn längst implementiert. Das hat sie im Übrigen sogar, aber nur zur Fortpflanzung. Doch das wollen weiße Menschen heute ja nicht mehr.

     

    Es ist also alles vollkommen sinnlos. Denn wenn sich jemand vornimmt, unbedingt hundert Orte auf der Welt besuchen zu wollen, ist er zu jedem Zeitpunkt an 99 davon nicht.

     

    Allgemein ausgerückt: bei n Zielen sind zu jedem Zeitpunkt x immer n-1 unerreicht. Und dafür der ganze Aufwand und die ganze Zerstörung?

     

    Die Alten waren da klüger als wir heute. Denn bereits Blaise Pascal (1623-1662) wusste, dass das ganze Unglück der Menschen allein daher rührt, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen.

     

    Heute haben die Menschen im Vergleich dazu extrem viel Vermögen aufgehäuft und vermögen das trotzdem nicht. Es ist alles ein Trauerspiel.

     

    Gefühlsmäßig ein Trauerspiel, wirtschaftlich hingegen die Explosion neuer Möglichkeiten.

     

    Denn passen Sie auf, bald werden mobile Wärmepumpen der Hit sein! In Zukunft werden wir nämlich jeder einen Schutzanzug tragen, der von einer mobilen Wärmepumpe geheizt wird, betrieben mit Solalastrom.

     

    Wozu denn auch die ganze Wohnung heizen, wenn es reicht, die Hosen und den Pulli zu heizen? Wir brauchen nur die richtigen Rezepte für die Zukunft.

     

    Und je unglücklicher wir werden, umso bessere Rettungskonzepte werden wir uns einfallen lassen.

     

    Auch wenn die Lage hoffnungslos ist, ernst ist sie nicht.

     

    Bernd Niquet

     

    berndniquet@t-online.de

     


    Bernd Niquet
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    DER NEUNTE BAND VON "JENSEITS DES GELDES" IST ERSCHIENEN: Bernd Niquet, Jenseits des Geldes, 9. Teil, Leipzig 2023, 648 Seiten, 23,50 Euro

    Leseprobe: "Jenseits des Geldes".

    Eigentlich war ich vollkommen sicher, dass jetzt die Zeit dieser ganzen Auseinandersetzungen hinter mir lag. Deswegen hatte ich auch extra meine Mietrechtschutzversicherung gekündigt. Dann habe ich aber doch einmal in die Betriebskostenabrechnung hineingeschaut und musste unwillkürlich rechnen. 29.220 Euro im Jahr 2018 für die Reinigung der Treppen und Flure, das sind 93 Euro pro Haus pro Woche. Ich würde das jeweils in zehn Minuten schaffen, doch selbst wenn die ungelernte Hilfskraft zwanzig Minuten braucht, sind das 279 Euro Stundenlohn, den die Leiharbeitsfirma dafür einfährt. Wer dabei nicht an Sizilien denkt, kann eigentlich nicht mehr voll bei Verstand sein.

    Bernd Niquet ist Jahrgang 1956 und wohnt immer noch am letzten grünen Zipfel der Failed Stadt Berlin. Die ersten acht Teile von „Jenseits des Geldes“ sind ebenfalls im Engelsdorfer Verlag erschienen, und zwar in den Jahren 2011, 2012, 2013 sowie 2018, 2019, 2020, 2021 und 2022.

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    Verfasst von Bernd Niquet
    Der Quatsch mit der Mobilität Ziele sind gut, aber auch immer wieder schnell futsch

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