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    BEHAVIORAL FINANCE  806  0 Kommentare Wohin, Europa?

    Jeder weiß: So kann es nicht weitergehen: Damit die Eurozone wieder auf einen grünen Zweig kommt, muss sich dringend etwas ändern. Entweder müssen wir einen großen Schritt vorwärts machen, oder einen Schritt rückwärts gehen, fordert etwa Charles B. Blankart in seinem Betrag „Die Euro-Zauberlehrlinge“ in der FAZ vom Montag.[1] Anschaulich beschreibt er, warum der Euro seinerzeit aus der Taufe gehoben wurde, um die autonomen Währungsordnungen des Europäischen Währungssystems (EWS) – wonach die Staaten sich verpflichtet hatten, ein Wechselkursband einzuhalten – zu ersetzen. Frankreich habe damals die Vormachtstellung der Bundesbank nicht gepasst, der Euro sei da ein Entgegenkommen unserer Bundesregierung und unserer heimischen Notenbank gewesen, die sich allerdings auf die Wirksamkeit der damals vereinbarten Strukturprinzipien verlassen hatten: Preisstabilität, Abstinenz von Finanzpolitik, Nichtbeistand und Unabhängigkeit. 2012 ist von diesen Prinzipien aber lange nicht mehr so viel übrig wie ursprünglich gedacht. Spätestens seit man sich entschieden hat, den schwachen Staaten der Währungsgemeinschaft beizuspringen, ist das System porös und instabil geworden; Blankart warnt: Mit jedem neuen Kredit für die Peripherie „wird dem moralischen Risiko Vorschub geleistet und der Hunger nach weiteren Krediten verstärkt“. Er sieht nur zwei Auswege aus der Bredouille: Entweder die Währungsgemeinschaft macht ein bis zwei Schritte zurück – zur alten Ordnung, unter der jeder Eurostaat wieder für sich selbst haftet und auch bankrottgehen kann, oder gar zur traditionellen Währungsvielfalt – oder einen mächtigen Satz nach vorn in einen Einheitsstaat ohne Verschuldungsautonomie der einzelnen Mitglieder.

    Unterschiedliche Marschrichtungen

    Aber während einige Politiker zaghafte Schritte nach vorn in Richtung Banken- und Fiskalunion machen, sind Banken und Investoren weltweit auf dem Rückzug: Die Ausleihungen der Kreditinstitute über die nationalen Grenzen hinaus an die Partner der Währungsunion gehen stetig zurück. Laut EZB-Daten waren sie im Juni so gering wie zuletzt bei Ausbruch der Krise im Jahr 2007. Sogar den Aufsichtsbehörden sind diese grenzüberschreitenden Risiken mittlerweile ein Dorn im Auge, was dem Konzept einer Währungsunion völlig zuwiderläuft, so Ex-Deutsche-Bank-Volkswirt Thomas Mayer in einem Spiegel-Interview.[2] Auch die Unternehmen verlieren das Vertrauen in den Fortbestand der Eurozone – zuletzt hatte der Öl-Konzern Shell verlauten lassen, sie schreckten vor Kapitalanlagen in Europa zurück und würden lieber in den USA investieren.

    Zweifel am „Experiment Euro“

    Immer mehr Marktteilnehmer zweifeln das „Experiment Euro“ offen an. Doch statt den wagemutigen Schritt in eine neue Zukunft zu machen, scheinen viele lieber zurück in die Vergangenheit zu wollen. Was schon mal dagewesen ist, lässt sich leichter vorstellen und gilt als besser einschätz- und kontrollierbar. Die Vergangenheit hat zwar etwas Vertrautes, wohingegen Neues eher abschreckend wirkt. Der große Schritt in die ungewisse Zukunft wird wie ein teurer Verlust – schließlich muss man für die Schulden der anderen einstehen – wahrgenommen im Vergleich zu dem relativ kleinen Schritt rückwärts zum vertrauten und vermeintlich bewährten System.

    Aber die Akteure, die noch im Markt aktiv sind und den Handel zu Zeiten des EWS noch erlebt haben, werden sich vielleicht erinnern, dass damals längst nicht alles eitel Sonnenschein war: Den Unternehmen fehlte ein großer Teil der heutigen Wechselkursplanungssicherheit und Banker werden sich an viele Gelegenheiten entsinnen, bei denen es an den europäischen Finanzmärkten zu heftigen Verwerfungen kam, die auch die Zentralbanken nicht eindämmen konnten. So wie es ist, kann Europa nicht bleiben. Wir müssen uns entscheiden, in welche Richtung wir gehen – und zwar alle in dieselbe, Marktteilnehmer und Politiker.




    Christin Stock
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    Christin Stock, Analystin und Bloggerin.
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    Weitere Informationen zur Autorin und der Behavioral Finance: www.blognition.de.
    Verfasst von 2Christin Stock
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