Gewonnen und trotzdem verloren
Tsipras peitscht Sparpaket durchs Parlament - Auf den Straßen fliegen Molotowcocktails
Auf das „Nein“ der Bevölkerung folgt das „Ja“ des Parlaments. Ein „Ja“, das eigentlich keins sein soll. Und ein „Ja“, das begleitet ist von Molotowcocktails und Tränengas. Während das Parlament im Eilverfahren das auferlegte Sparprogramm billigte, kam es auf den Straßen Athens zu schweren Ausschreitungen.
Die Geldgeber haben es gefordert, die griechischen Abgeordneten haben nun geliefert. Sie stimmten am frühen Donnerstagmorgen mit klarer Mehrheit für erste Spar- und Reformmaßnahmen, die die Kreditgeber zur Bedingung für Gespräche über neue finanzielle Unterstützung in Milliardenhöhe gemacht hatten.
Gewonnen und trotzdem verloren
Alexis Tsipras hat es geschafft. Er hat die Sparmaßnahmen durch das Parlament gepeitscht – und überdies seine Regierungsmehrheit verloren. Gewonnen und trotzdem verloren. Offiziell stimmten 229 der insgesamt 300 Parlamentarier mit „Ja“, berichtet dpa-AFX. Doch diese Mehrheit hat Tsipras einzig der Opposition zu verdanken, aus eigener Kraft der Regierungskoalition wäre das Sparprogramm gescheitert. 64 Abgeordnete votierten nach Angaben des Parlamentspräsidiums dagegen, 32 davon gehören zum regierenden Syriza-Bündnis. Sechs weitere enthielten sich der Stimme. Die Regierungsmehrheit wurde dadurch verpasst.
Tsipras hatte unmittelbar vor der Abstimmung gedroht, sollte dies geschehen, werde er zurücktreten. Nach der Parlamentssitzung äußerte sich der Ministerpräsident zunächst nicht. In den vergangen Tagen war immer wieder über einen möglichen Rücktritt spekuliert worden (siehe: Tsipras steht vor dem politischen Ruin – Geht der Kapitän jetzt von Bord?).
Das nun gebilligte vier Milliarden Euro schwere Sparpaket, für das sich Tsipras trotz eigener Vorbehalte am Dienstagabend in einem TV-Interview stark gemacht hatte, umfasst vor allem höhere Mehrwertsteuern und Zusatzabgaben für Freiberufler sowie Besitzer von Luxusautos, Häusern und Jachten. Ebenfalls enthalten: ein nahezu vollständiger Stopp aller Frühverrentungen.
Tsipras: „Ich bin von den Geldgebern erpresst worden“
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Kritiker der Sparmaßnahmen gab es vor allem im linken Partei-Flügel von Syriza. Dessen Anführer, Energieminister Panagiotis Lafazanis, sagte Tsipras in der Nacht dennoch Unterstützung zu. „Wir werden gemeinsam weitermachen. Wir stützen die Regierung, sind aber gegen die Sparprogramme.“ Der Chef der konservativen Oppositionspartei Nea Dimokratia, Evangelos Meimarakis, kündigte an, von einem Misstrauensvotum abzusehen. Neuwahlen seien für ihn keine Option. Er sagte, die Billigung der Auflagen sei die richtige Nachricht an Europa.
Tsipras erklärte im Parlament, er sei von den Gläubigern erpresst worden, das Sparprogramm zu akzeptieren. Er habe keine andere Wahl gehabt, als dem zuzustimmen (Lesen Sie hierzu: „Ich übernehme die Verantwortung für einen Text, an den ich nicht glaube“). Die Euro-Länderchefs hatten sich am Montagmorgen nach einem Marathon-Gipfel auf Bedingungen für das Hilfspaket verständigt. Der Umfang der weiteren Hilfe für Athen könnte bis zu 86 Milliarden Euro umfassen, wenn die Bedingungen vorher erfüllt werden.
Ausschreitungen vor dem griechischen Parlament
Nach dem „Ja“ aus Athen will die Eurogruppe am Donnerstagvormittag in einer Telefonkonferenz über die weiteren Schritte beraten. Über ein neues Hilfspaket für das von der Pleite bedrohte Griechenland müssen noch mehrere Parlamente in anderen Euroländern abstimmen. In Deutschland ist sogar die Zustimmung des Bundestags zur Aufnahme von Verhandlungen nötig. Das Parlament stimmt voraussichtlich am Freitag darüber ab.
Während Tsipras im Innern des Parlamentsgebäudes für das Sparpaket kämpfte, trugen viele verzweifelte Griechen ihren Kampf für Gerechtigkeit auf die Straßen. Vor dem Parlamentsgebäude kam es zu heftigen Ausschreitungen. Während einer Demonstration auf dem Syntagma-Platz in Athen gegen die Spar- und Reformmaßnahmen flogen am Mittwochabend erste Brandsätze. Rund 200 Autonome lösten sich aus dem bis dahin friedlichen Protest und warfen Molotowcocktails in Richtung der Polizisten, die vor dem Regierungsgebäude Stellung bezogen hatten. Die Polizei setzte Tränengas ein (siehe: Krawalle vor griechischem Parlament – Brandflaschen und Tränengas).