Flüchtlingspolitk
"Das gelobte deutsche Land hat seine Grenzen" - Sinn fordert schärfere Asylpolitik
„Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen, dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land.“ Es ist einer der emotionalsten Sätze von Bundeskanzlerin Angela Merkel - und womöglich auch einer ihrer wichtigsten.
Trotzdem steht die Kanzlerin für ihre Flüchtlingspolitik in der Kritik. Vor allem CSU-Chef Horst Seehofer schickt immer mehr Giftpfeile in Richtung Berlin. „Das System kollabiert“, sagte er am Dienstag. „Bei aller Hilfspolitik sind wir Politiker nicht befreit von der Frage, auch über die Folgen unseres Tuns nachzudenken.“ Es sei die drängende Pflicht eines Politikers, auf die begrenzten Aufnahmemöglichkeiten hinzuweisen, so der CSU-Chef.
Unterstützung bekommt Seehofer von ifo-Präsident Hans-Werner Sinn. Auch er kritisiert die Entscheidung Merkels, in Ungarn gestrandete Flüchtlinge nach Deutschland zu holen, um sie „ostentativ willkommen zu heißen“. „Die Entscheidung hat freilich so viele zusätzliche Flüchtlinge aus den arabischen Ländern angelockt, dass Deutschland ihrer kaum noch Herr wurde und sich nun ebenfalls gezwungen sah, Grenzkontrollen einzuführen“, schreibt Sinn in einem Beitrag für das „Project Syndicate“. Auf Deutsch trägt der Beitrag schlicht den Titel „Flüchtlingsdrama“, doch erst im Englischen wird die wahre Botschaft deutlich, die der ifo-Präsident verbreiten will: „The Limits of the German Promised Land“ (Die Grenzen des deutschen gelobten Landes).
Es ist ein Tanz auf Messers Schneider. Und kaum ein Ökonom beherrscht ihn so gut wie Sinn. Gewohnt kühl und sachlich präsentiert er Daten und Fakten, die belegen sollen, dass sich Deutschland „noch über Jahre mit den Konsequenzen dieser Flüchtlingswelle zu beschäftigen haben (wird).“ Was Sinn zum Meister seines Fachs macht, ist die Tatsache, dass er dabei sämtliche Ressentiments gegen Flüchtlinge nur indirekt bedient und so den Vorwurf, er würde Stimmung gegen sie machen oder sie zumindest billigend in Kauf nehmen, elegant ins Leere laufen lässt.
Beispiel 1: Der „Wandersaldo“
Sinn thematisiert die steigende Zahl an Flüchtlingen, indem er sie in Relation zur deutschen Bevölkerung setzt. Das schreit förmlich nach dem Klischee einer Überfremdung Deutschlands. Trotzdem sucht man bei Sinn vergebens nach dem entsprechenden Schlagwort. Stattdessen benutzt er den technischen Begriff eines „Wandersaldos“. Dieser „Wandersaldo“ entspräche 1,4 Prozent der in Deutschland ansässigen Bevölkerung, was „im historischen Vergleich ein extrem hoher Wert“ sei.
Beispiel 2: Die Flüchtlinge und ihre Smartphones
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Kein anderer Aspekt erhitzt die Gemüter so sehr wie die Telefone der geflüchteten Menschen. Auch hier gelingt es Sinn, das Thema anzureißen, ohne dabei die üblichen populistischen „So schlecht kann es denen doch gar nicht gehen, wenn … “-Parolen zu benutzen. Vielmehr tauchen die Smartphones im Kontext der Entscheidung Merkels auf, die Flüchtlinge aus Ungarn nach Deutschland zu holen. Denn dabei habe die deutsche Regierung nicht bedacht, so Sinn, dass „jeder, der es schaffte nach Deutschland zu kommen, sofort per Handy die Nachricht in das Heimatland übermittelte, was neue Migrantenströme in Bewegung setzte. Die UN-Flüchtlingslager in Syrien verlagern sich auf diese Weise nach Deutschland.“
Beispiel 3: Die arabischen „halbwüchsigen Jungen“
Junge Männer stellen ohne Zweifel die größte Gruppe der Flüchtlinge. Das schürt Ressentiments und heizt die Stimmung gegen Flüchtlinge zusätzlich an. Auch Sinn hat eine Erklärung, weshalb es vor allem junge Männer sind, die nach Deutschland kommen. „Häufig senden arabische Familien ihre halbwüchsigen Jungen nach Deutschland, in der nicht unberechtigten Hoffnung, dann selbst nachziehen zu dürfen.“ Um Missverständnissen vorzubeugen: Diese Aussage Sinns ist ebenso wenig falsch wie all die anderen Zitate. Aber darum geht es hier nicht. Viel wichtiger als das Was ist das Wie. Oft lässt der ifo-Präsident einen Satz wie diesen einfach so stehen und provoziert damit, dass er in einem bestimmten Kontext verstanden wird. Natürlich schicken Familien (ob der Zusatz „arabische“ wirklich notwendig ist, sei dahin gestellt) „halbwüchsige Jungen“ voraus, aber das muss doch nicht zwangsläufig etwas „Anrüchiges“ sein. Oder würden Sie Ihren alten gebrechlichen Großeltern eine solch beschwerliche Reise über die Balkan-Route zumuten? Oder Ihren Säugling mit aufs heillos überfüllte Schlepperboot?
Sinn fordert Außenstellen an den Grenzen
Von all dem ist in dem Artikel aber nicht die Rede. Stattdessen geht es darum, dass Flüchtlinge hierzulande Leistungen erhalten, die „bei einem Mehrfachen des Arbeitslohns in den Herkunftsländern“ liegen, „so es dort überhaupt Arbeit gibt.“ Auch hier wieder: Ist das automatisch falsch? Sollte ein syrischer Tischler in Deutschland demzufolge den gleichen Lohn bekommen, auch wenn die hiesigen Lebenshaltungskosten ebenfalls „bei einem Mehrfachen“ liegen? Dazu schweigt Sinn. Ihm geht es um etwas anderes. Nämlich, dass Deutschland mit dem liberalsten Asylrecht Europa (zusammen mit Schweden) und den „besonders hohen Mitteln“, die es für die Unterbringung der Migranten aufwendet, die Flüchtlingsströme nach Deutschland selbst befeuert. In der Konsequenz werde der Regierung aber gar nichts anderes übrig bleiben, als ebenfalls restriktivere Maßnahmen zu ergreifen, „um dem Chaos ein Ende zu bereiten.“ Zu diesen Maßnahmen gehört nach Ansicht Sinns unter anderem die Errichtung von Außenstellen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlingen an den Grenzen, damit „offenkundig unbegründete Asylanträge“ bearbeitet und die Person direkt wieder zurückgeschickt werden könne. Auch hier ist Sinn wieder ganz nah bei CSU-Chef Seehofer, der in Bayern sogenannte „Transitzonen für Flüchtlinge“ einrichten will. Und somit schließt sich der Kreis. Den Vorwurf, Stimmungsmache gegen Flüchtlinge zumindest billigend in Kauf zu nehmen, würden aber sowohl Seehofer als auch Sinn entschieden zurückweisen.