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    "Gesamtaktion ernsthaft unterfinanziert"  9154  9 Kommentare George Soros' Sieben-Punkte-Plan zur Lösung der Flüchtlingskrise

    Mit dem Türkei-Deal ist die EU ihrer humanitären Verantwortung in keinster Weise nachgekommen. Anstatt Flüchtlingsrechte gegen finanzielle und politische Begünstigungen zu handeln, braucht es einen arbeitsintensiven Prozess, findet George Soros.

    Er ist nicht nur Starinvestor, sondern auch Philantrop und politisch schon immer sehr engagiert gewesen. Weil ihm aufgrund seiner hohen Erfolgsquote ein besonders treffsicheres Bauchgefühl nachgesagt wird, finden seine Worte zu den globalen Geschehnissen stets weitreichendes Gehör.

    Nun hat sich der 85-jährige Hedgefondsmanager und US-Milliardär George Soros in der "WirtschaftsWochezu den bisherigen Bemühungen der EU hinsichtlich der Flüchtlingsproblematik geäußert. In seinem Essay rechnet er mit dem egoistischen Verhalten der einzelnen Mitgliedsstaaten ab und schlägt einen Sieben-Punkte-Plan zur langfristigen und wirksamen Lösung der Krise vor.

    Dabei machte er eins wiederholt deutlich: Für sämtliche Maßnahmen muss sehr viel mehr Geld als bisher in die Hand genommen werden. Doch am Ende würden sich die Ausgaben lohnen und in einer erhöhten Produktivität und einem steigenden Wachstum der Aufnahmegesellschaften resultieren. Hier die von Soros erdachte Vorgehensweise:

    1. Sichere Übersiedlungen von Menschen direkt aus den Frontstaaten

    Dies ist eine Aufgabe, die nach Ansicht von Soros nicht nur der EU, sondern auch der gesamten restlichen Welt zukommt. Damit die Menschen aus den Krisengebieten nicht zu lebensgefährlichen Fluchtversuchen gezwungen werden (nach Angaben des hohen Flüchtlingskommisars der Vereinten Nationen sind allein in diesem Jahr in den ersten fünf Monaten über 2.500 Menschen im Mittelmeer ertrunken), braucht es eine Selbstverpflichtung zur Aufnahme von einer beträchtlichen Zahl von Flüchtlingen. 

    "Wenn die EU eine Verpflichtung einginge, selbst nur 300.000 Flüchtlinge pro Jahr aufzunehmen - und wenn diese mit vergleichbaren Verpflichtungen anderer Länder der Welt einherginge - würden die meisten wirklichen Asylsuchenden sich ausrechnen, dass die Chancen, ihren Zielort zu erreichen, hoch genug sind, um nicht zu versuchen, Europa auf illegale Weise zu erreichen, da sie dies von einer rechtmäßigen Aufnahme ausschlösse", so Soros. Das Problem von Wirtschaftsflüchtlingen bestünde aber weiterhin.

    2. Endlich Ordnung an den Grenzen herstellen

    Um das Chaos in Griechenland und im Mittelmeerraum zu beseitigen, gibt es laut Soros eine einfache und unmittelbare Abhilfe: Die Erstaufnahmeländer müssen mit ausreichenden Geldmitteln versorgt werden. Nur dann können sie sich adäquat um die Asylsuchenden kümmern und Seestreitkräfte für Such- und Rettungsmaßnahmen beauftragen. Bislang überwiege hier jedoch lediglich der Eindruck der Unfähigkeit, Menschen zu retten und zu versorgen.

    "Über 50.000 Flüchtlinge leben in erbärmlichen Verhältnissen in einer Reihe mangelhaft verwalteter, provisorischer Lager im gesamten Land", schreibt Soros diesbezüglich. "Die Öffentlichkeit sieht dies auf ihren Bildschirmen und fragt sich, warum die mächtige Europäische Union unfähig ist, zumindest Basisleistungen für Kinder und Frauen auf der Flucht vor Krieg bereitzustellen." Die Erklärung, man erhoffe sich durch das Fortbestehen dieser Verhältnisse eine abschreckende Wirkung, beschreibt er dabei als "zynisch" und "beunruhigend". 

    3. Das Gesamtbudget muss erhöht werden

    Mit dem bisherige Gesamthaushalt von 1,23 Prozent des BIP der Mitgliedsstaaten ist die EU nach Meinung von Soros nicht überlebensfähig. Für einen umfassenden und kohärenten Asylplan brauche es jährlich mindestens 30 Milliarden Euro - "um effiziente Grenz- und Asylbehörden aufzubauen, um menschenwürdige Empfangsbedingungen, faire Asylverfahren und Eingliederungsmöglichkeiten zu gewährleisten." Auch außerhalb werde das Geld gebraucht, um "Flüchtlingsaufnahmeländer zu unterstützen und die Schaffung von Arbeitsplätzen in Afrika und im Mittleren Osten zu fördern."

    Betrachtet man die alternativen Kosten, so relativiere sich die Summe recht schnell. Denn nach den Berechnungen der Bertelsmann-Stiftung würde ein Aussetzen des Schengener Abkommens zu einem jährlichen EU-weiten Verlust von 47 bis 140 Milliarden Euro führen. 

    Für die "Aufschwungsförderung" brauche es demnach eine signifikante Schuldenerhöhung sowie eine Nutzung der bisher unangetasteten EU-Finanzinstrumente. Mehr als 50 Milliarden Euro lägen derzeit auf Halde. "Es ist der Gipfel der Verantwortungslosigkeit und der Pflichtverletzung, den Zerfall der EU zuzulassen, ohne ihre gesamten finanziellen Ressourcen zu nutzen", schimpft Soros. Noch dazu gäbe es für eine Neuverschuldung keinen günstigeren Zeitraum als jetzt, wo die Zinsen sich auf einem historischen Tiefstand befinden.

    Darüber hinaus müsse es aber auch über kurz oder lang zu neuen europäischen Steuern kommen. 

    4. Schaffung gemeinsamer europäischer Asylmechanismen

    Bei der Einrichtung gemeinsamer Standards im Asylprüfverfahren und in der Umsiedlung von Flüchtlingen bescheinigte Soros der EU sogar schon "bescheidene Fortschritte". So wies er auf die vom Europäischen Parlament beschlossenen Rechtsvorschriften für den Aufbau der "European Border and Coast Guard" (EBCG) sowie auf das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) hin.

    Die Dublin-III-Verordnung würde jedoch nach wie vor die "Solidarität unter den EU-Mitgliedsstaaten belasten". Sie legt fest, welcher Staat für die Abwicklung und Aufnahme von Asylsuchenden verantwortlich ist. Darüber müsse nach Ansicht von Soros neu verhandelt werden. 

    5. Neuansiedlungs- und Umsiedlungsprogramme überdenken

    Anstatt Flüchtlinge nach ihrer Anerkennung im Rahmen der bestehenden Programme zwanghaft irgendwo anzusiedeln, wo sie gar nicht hinwollen, brauche es laut Soros einen besseren, einheitlichen Umsiedlungsmechanismus. Dies müsse vor allem auf "Freiwillligkeit beruhen; ein übereinstimmendes System könnte Präferenzen sowohl von den Flüchtlingen als auch von den Aufnahmegemeinschaften eruieren; damit Menschen am Ende dort landen, wo sie sein wollen und wo sie willkommen sind." 

    Als beispielhaftes, wenn auch nicht in allen Punkten vergleichbares Vorbild nennt Soros das Einwanderungsland Kanada. Mit Hilfe öffentlich-privater Partnerschaften und NGOs wurden dort in nur vier Monaten 25.000 syrische Flüchtlinge aufgenommen und eingegliedert. Insgesamt sollen es in diesem Jahr 44.000 Flüchtlinge werden.

    Für die kanadische Vorgehensweise bei der Integration hat Soros viel Lob übrig. "Eine entschlossene Federführung von oben, sorgfältige Koordination mit den empfangenden örtlichen Gemeinschaften, solides Verfahren für die Überprüfung und die Neuansiedlung sowie Aufrichtigkeit in der Auseinandersetzung mit unausweichlichen Schwierigkeiten – dies waren die wesentlichen Bausteine des Erfolgs."

    6. Fremde Aufnahmeländer großzügiger unterstützen

    Auch hierbei ginge es im Wesentlichen wieder um die Allokation und Verteilung neuer Geldmittel. Man müsse Länder wie Jordanien in die Lage versetzen, "den Flüchtlingen angemessene Schulen, Fortbildung und medizinische Versorgung bieten zu können." 

    Geeignete Hilfsmittel nichtfinanzieller Art wären zum Beispiel Handelspräferenzen, mit denen Arbeitsplätze sowohl für die Flüchtlinge als auch für die eigene Bevölkerung geschaffen werden können. Insgesamt sei die Krise an den Grenzen allein nicht zu bewältigen. Effektvoller sei es, das Geld im Ausland anzulegen, was "den Zustrom der Einwanderer in einem zu bewältigenden Ausmaß halten könnte."

    7. Eine richtige Willkommenskultur entwickeln

    Schlussendlich, so Soros, müsse Europa infolge der demographischen Entwicklung früher oder später ein Umfeld schaffen, "in dem Vielfalt und wirtschaftliche Migrationsbewegungen willkommen geheißen werden." Es müsse sich die Erkenntnis durchsetzen, dass die Vorteile aus der Zuwanderung die Integrationskosten überwiegen. Zu nennen sind hier die Innovationsfähigkeit sowie besondere Sachkenntnisse der Zuwanderer, sofern sie entsprechende Chancen bekommen. 

    "Diese sieben Grundregeln zu verfolgen ist unerlässlich, um öffentliche Ängste zu beruhigen, chaotische Ströme von Asylsuchenden zu verringern, die vollständige Eingliederung von Neuankömmlingen zu gewährleisten, beiderseitig vorteilhafte Beziehungen mit Ländern im Mittleren Osten und in Afrika zu schaffen und um Europas internationale humanitäre Verpflichtungen zu erfüllen." Am Ende ginge es nicht nur um die Flüchtlinge selbst, sondern auch um das nackte Überleben der Europäischen Union. 

     

     





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