Mr. Dax
Dirk Müller: Was tun, wenn der Crash jetzt doch recht schnell einsetzt?
Dirk Müller, Fondsmanager und bekannt geworden als Börsen-Experte "Mr. Dax", erklärt, warum US-Präsident Donald Trump "ausgesprochen rational" vorgehe, in welcher Handelskrieg-Phase sogar Cash auf dem Konto riskant sei und warum ETFs in "Krisenszenarien" in seinen Augen nicht die beste Lösung seien.
wallstreet:online: Herr Müller, an den Börsen breitet sich offensichtlich immer mehr die Angst vor den Folgen des Handelskrieges aus. Wie schätzen Sie die Lage ein? Kann es z.B. sein, dass US-Präsident Donald Trump den Bogen zurzeit überspannt?
Dirk Müller: Der Handelskrieg mit China entwickelt sich exakt so, wie ich es erwartet und im Buch "Machtbeben" beschrieben habe. Trump überspannt den Bogen nicht, im Gegenteil folgt er einer sehr klaren Strategie. Wir vergessen bei aller Wirtschaftsverliebtheit nur zu gerne, dass es eine Komponente gibt, die die wirtschaftlichen Interessen zumindest zeitweise überlagern. Das ist die Geostrategie, die Machtfrage. Die USA sind seit dem Zweiten Weltkrieg die Weltmacht Nr.1 und sie haben ein existentielles Interesse daran, dies auch zu bleiben. Man hatte der machtpolitischen Auseinandersetzung mit Russland alle wirtschaftlichen Fragen untergeordnet. Russland ist heute keine akute Bedrohung für die Vorherrschaft der USA mehr. Diese Rolle hat China nicht nur eingenommen, sondern auch klar postuliert. In wenigen Jahren würde China an den USA vorbeiziehen. Amerika hat gar keine andere Option, als alles zu unternehmen, um dies zu verhindern. Der Handelskrieg ersetzt - Gott sei Dank - den militärischen Krieg. Daher wäre es ausgesprochen naiv anzunehmen, die USA würden jetzt die weiße Flagge hissen oder einen "Deal" mit China machen und dann zusehen, wie China die Weltmacht zunächst wirtschaftlich, dann politisch und schließlich militärisch übernimmt.
Trumps Vorgehen ist ausgesprochen rational, auch wenn er sich nach außen perfekt als unberechenbar darstellt, was eine Jahrhunderte alte Strategie ist, die bereits Nixon in der "Madman-Theorie" Ende der 1960er Jahre angewandt hatte. Viele Maßnahmen, die Trump seit Amtsantritt umgesetzt hat, dienten bereits der Vorbereitung einer harten Auseinandersetzung mit China. Repatriierung der Auslandsgewinne von US-Unternehmen, massive Steuersenkungen, Verlagerung von Industrieaktivitäten nach Amerika und nun Infrastrukturmaßnahmen: Alles Maßnahmen, um die US-Unternehmen bestmöglich auf eine Wirtschaftskrise und den Konflikt mit China vorzubereiten und zu stärken. In sich absolut stringent und keineswegs wirr. Natürlich wird ein wirtschaftlicher Einbruch in China zu einer Weltwirtschaftskrise führen, von der auch die US-Unternehmen hart betroffen sein werden. Die Alternative wäre eine dauerhafte Aufgabe der Weltmachtposition.
wallstreet:online: Martin Stürmer, der den PEH Empire Fonds managt, hat laut "Welt" seine Aktienquote auf null gesetzt. Noch im April dieses Jahres habe die Quote 96 Prozent betragen. Inwiefern ist das Panik oder kluge Taktik angesichts der "Indikatoren für ein schlechtes Marktumfeld", die Martin Stürmer herausgefunden haben will?
Dirk Müller: Ich halte das grundsätzlich für absolut nachvollziehbar, die obige Kurzdarstellung der Hintergründe gibt allen Anlass, die wirtschaftliche Entwicklung der nächsten
zwei bis drei Jahre sehr skeptisch zu beurteilen, was in der klassischen Lehre zu deutlich tieferen Aktienkursen führen müsste. ABER: Wir sehen derzeit eine massive Divergenz
zwischen Wirtschaftsentwicklung und deren negativen Ausblick einerseits und Aktienkursentwicklung andererseits. Auch gilt die Erkenntnis, dass die US-Regierung die eigene Wirtschaft maximal
schützen möchte. Da ein wesentlicher Teil der US-Wirtschaft vom Konsum und von den Aktienkursen abhängt, wird alles unternommen, um die US-Aktienmärkte so stabil wie möglich zu halten. Das
geschieht über die Notenbank-Aktivitäten (Zinssenkungen, QE) und zahlreiche weitere Instrumente. Die Folge ist eine immer wieder überraschende Stabilität der Aktien, ob der Wirtschafts-Entwicklung
und – Perspektive. Wir erleben stark verzerrte Märkte, wodurch die kurzfristige Prognose der Aktienkursentwicklungen ausgesprochen schwierig ist, wie die immer wieder wilden
Kurswechsel der letzten Monate gezeigt haben.
wallstreet:online: Gold, Bundesanleihen sowie US-Treasuries und der Schweizer Franken erfreuen sich gerade als vermeintlich "sichere Häfen" steigender Beliebtheit. Inwiefern kann
man hier von einer größeren Anlegerflucht sprechen?
Dirk Müller: Das ist sicher richtig, einen wesentlichen Teil der Kursbewegungen hier zu verorten.
wallstreet:online: Ok, angenommen, wir stehen tatsächlich vor einer größeren, breiten Abschwungphase, vulgo: Crash. Was empfehlen Sie Anlegern vor diesem Hintergrund?
Dirk Müller: Unter normalen Umständen würde ich in einem solchen Szenario zu "risk off" und hoher Cash-Quote raten. Wir sehen aber die starken Verzerrungen an den Märkten, sodass es dennoch immer wieder zu starken Aufwärtsbewegungen kommen kann, wie wir aktuell sehen. In einem extremen Wirtschaftsabschwung kann darüber hinaus niemand sicher sein, dass alle Banken in Asien oder Europa dies überleben. Wir sehen, wie schlecht es um europäische Banken selbst in den vergangenen Boom-Jahren bestellt war, sodass ein Blick auf ein Krisenszenario durchaus zum Nachdenken anregen darf. Daher ist Cashhaltung auf dem Konto durchaus ebenfalls mit Risiken verbunden. Daher ist meine Strategie: In starken Unternehmen investiert bleiben, diese aber immer wieder – sobald die Märkte Schwäche signalisieren – gegen Kurseinbrüche absichern. Das ist für den Privatanleger nicht trivial umzusetzen, aber aus meiner Sicht die sinnvollste Strategie für diese Phase. So kann man an den Aufwärtsbewegungen (mit verminderter Absicherung) partizipieren und ist gegen größere Einbruchsphasen (mit dann zunehmender Absicherung) gewappnet.
wallstreet:online: Der sprechende Titel Ihres Buches "Machtbeben: Die Welt vor der größten Wirtschaftskrise aller Zeiten - Hintergründe, Risiken, Chancen", das im August des letzten Jahres herauskam, weist auf tiefgreifende politische Veränderungen hin. Schaut man sich die Zeitgeschichte an, kam es aus realpolitischer Sicht immer wieder zu Machtumwälzungen, mit denen Anleger zurechtkommen mussten. Inwiefern ist "mit ruhiger Hand weiteranlegen und zwischendurch Tee trinken und darauf vertrauen, dass politische Börsen kurze Beine haben", eine brauchbare Strategie?
Dirk Müller: Natürlich kann man diese Sichtweise vertreten. Wer im Zweifel bereit ist zu akzeptieren, dass sich das eigene Vermögen mehr als halbiert in der Hoffnung, dass es irgendwann auch schon wieder zulegt, der kann das so machen. Meine Strategie wäre es nicht. Unter Umständen dauert es sehr lange, bis sich das alte Kursniveau wiedereinstellt. Nach dem Einbruch 1929 waren es 30 Jahre, die Japaner warten seit dem Einbruch Ende der 1980er Jahre noch immer auf die alten Höchststände. Natürlich sind das extreme Beispiele, aber wir reden aktuell ebenfalls über eine extreme Situation, die weit über übliche "politische Börsen" wegen einer Wahl oder eines lokalen Kriegsereignisses hinausgeht. Es wäre doch zu ärgerlich, wenn man sich blind darauf verlassen würde, dass es schon irgendwie gut geht und dann die Ersparnisse eines Lebens vernichtet sind. Wir leben bekanntlich alle nicht ewig, um es wieder reinzuholen.
wallstreet:online: Werfen wir nach den politischen Veränderungen einen Blick auf die wirtschaftlichen. Welche zurzeit wichtigen wirtschaftlichen Veränderungen können meine Anlagen treffen, wenn ich eher konservativ branchen-, welt- und anlageklassen-weit diversifiziere? Nehmen wir als Beispiel zwei ETFs, in die Bundesbank-Präsident Jens Weidmann investiert: Einen für den DAX (LU0274211480) und einen für die nach Börsenwert größten Unternehmen aus 23 Industrie- und 24 Schwellenländern (IE00BGHQ0G80). Da kann doch nichts schief gehen… Oder?
Dirk Müller: In ruhigen Zeiten mögen ETFs eine gute Alternative zu manchem Fonds sein. Ich sehe jedoch gerade in den viel gelobten ETFs in solchen Krisenszenarien ein eklatantes Risiko. Zum einen sind durch die zahlreichen ETF-Investoren besonders viele Anleger in den gleichen Aktien investiert. Wird hier Kasse gemacht, geht es besonders schnell und steil nach unten. Zum anderen sind ETFs zu 100 Prozent investiert. Das bedeutet volles Absturzrisiko. Ein gemanagter Fonds wird – je nach Strategie – Risiko rausnehmen, die Cashquote erhöhen oder Absicherungen vornehmen, um die größten Einbrüche zu verhindern. Der ETF fällt 1:1 mit dem Markt. Es bleibt dann nur das Prinzip "Glaube und Hoffnung", dass es auch genauso schnell wieder hochgeht. Das kann so kommen, meine Altersvorsorge würde ich jedoch darauf nicht verwetten wollen.
wallstreet:online: Und zum Schluss bitte einen Ausblick für Ihr Baby, den Dirk Müller Premium Aktien Fonds. Welche Maßnahmen stehen an? Wie wollen Sie die aktuelle Marktlage in den Griff bekommen?
Dirk Müller: Ich setze hier genau diese Strategie um, die ich oben beschrieben habe. Wir sind in die aus meiner Sicht stärksten und zukunftssichersten Unternehmen investiert, die auch eine Wirtschaftskrise gut überstehen können. Parallel sichern wir diese Aktien in riskanten Marktphasen bis zu 100 Prozent gegen Kurseinbrüche ab. Die Gewinne aus den Absicherungen werden uns in fallenden Märkten börsentäglich ausbezahlt und direkt wieder in neue – inzwischen billigere Aktien investiert und erneut abgesichert. Kontrolliert nach oben dabei sein, aber Sicherungsnetze nach unten, ist meine Strategie, die sich in den vergangenen Jahren sehr bewährt hat und im turbulenten Jahr 2018 mit dem Titel als bester Deutscher Aktienfonds mit internationaler Ausrichtung ausgezeichnet wurde. In unkritischen Aufwärtsjahren gibt es sicher aggressivere Fonds, die mehr Rendite einfahren. Wer maximale Gewinnchance bei maximaler Risikobereitschaft sucht, ist dort besser aufgehoben. Mir ist die Sicherheit der Anlegergelder in Krisenzeiten jedoch der wichtigere Aspekt. Abgerechnet wird aus Anlegersicht wie beim Biathlon dann am Ende aus dem Ergebnis beider Disziplinen: Hausse und Baisse.
wallstreet:online: Herr Müller, vielen Dank für das Interview!
Quelle:
Welt