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    Kiewer Kirchenkampf

    Internationales Recht muss eine Mindestanforderung für die Ukraine sein Ein Kommentar von Robert Amsterdam*

    Im Februar vergangenen Jahres geschah, was nur wenige für möglich gehalten hatten: Die russischen Streitkräfte fielen in die Ukraine ein. Das Ziel war es, das Nachbarland per Blitzangriff einzunehmen. Doch die Entschlossenheit der ukrainischen Bevölkerung, nicht klein beizugeben, sowie grobe strategische Fehler Russlands erstickten die anfängliche Euphorie des Aggressors. Über die Vorgeschichte des Krieges ließe sich lange diskutieren. Darüber, dass Russland internationales Recht gebrochen hat und dies auch fortlaufend tut, wiederum nicht.


    So hat sich auch der Westen nahezu geschlossen hinter die Ukraine gestellt und sie militärisch und wirtschaftlich unterstützt. Dies geschieht in der Überzeugung, auf der richtigen Seite des Konflikts zu stehen. Die Welt erscheint schwarz und weiß, wenn Russland internationales Recht bricht, und die Ukraine aufopfernd für den Erhalt westlicher Werte einsteht.


    Mit dem Gefühl der Zusammengehörigkeit geht jenes der Mitschuld einher. Wir fühlen uns verantwortlich für das Schicksal der Ukrainer. Deshalb man es sich auch hierzulande zur Aufgabe gemacht, der Ukraine quasi bedingungslos beizustehen. Die ukrainische Regierung wird glorifiziert, Missstände werden ignoriert. Die Ukraine gehörte vor dem Krieg zu den korruptesten Ländern der Welt. Dieses Übel besteht trotz erkennbarer Reformbemühungen Kiews fort: Altbekannte Muster der Korruption, des Machtmissbrauchs und der Unterwanderung der Rechtstaatlichkeit sind nicht zu übersehen.


    Ein Beispiel ist die Verfolgung der Ukrainisch Orthodoxen Kirche (UOC). Nach dem Einmarsch Russlands im Mai 2022 hatte sich die UOC klar gegen den Krieg ausgesprochen. Im Zuge einer Verfassungsänderung brach sie außerdem ihre Verbindungen zum Moskauer Patriarchat ab. Heute agiert sie als eigenständige Kirche und zählt immerhin 16 Prozent der ukrainischen Bevölkerung zu ihren Mitgliedern.


    Doch diese Trennung von Moskau wird von der ukrainischen Regierung nicht anerkannt. Seit 2018 versucht Kiew, seine eigene Kirche, die Orthodoxe Kirche der Ukraine (OCU), zu fördern. Die OCU ist dabei ironischerweise eine Abspaltung vom Moskauer Patriarchat.
    Folglich hat sich die Einflussnahme Kiews auf die UOC erheblich gesteigert, auch nach deren Trennung von Moskau. Klerikern und Anhängern werden Verrat und Korruption vorgeworfen, vielen von ihnen werden in Scheinprozessen Straftaten vorgeworfen. Der Ukrainische Sicherheitsdienst hat bereits zahlreiche Ermittlungen gegen die UOC und 350 Kirchendurchsuchungen durchgeführt. Nun hat das ukrainische Parlament in erster Lesung für einen Gesetzesentwurf gestimmt, welcher die UOC auf ukrainischem Territorium verbieten würde. Damit würde die Willkür der ukrainischen Regierung geltendes Recht – und zugleich eklatant gegen das internationale Grundrecht auf Religionsfreiheit verstoßen. Mitglieder der UOC sollen ihrer Kirche den Rücken kehren und sich stattdessen der regierungsnahen OCU anschließen.


    Doch warum sind diese Missstände bislang in der westlichen Öffentlichkeit kaum bekannt? Die Antwort ist eine rein politische. So wird das Thema Religionsfreiheit in der Ukraine in dem 150 Seiten langen «Ukraine 2023 Report» der EU-Kommission (veröffentlicht am 08. November 2023) nur in einem einzelnen Absatz behandelt. Und das ausschließlich im positiven Sinne. Auch hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Ukraine kürzlich als EU-Beitrittskandidatin empfohlen. Europäische Medien und Regierungen scheuen sich zudem das Thema anzusprechen - aus Furcht, als pro-russisch eingestuft zu werden.


    Mit der fortgesetzten Missachtung internationalen Rechts durch die systematische religiöse Verfolgung der UOC schadet sich die ukrainische Regierung selbst. Denn die Unterstützung des Westens basiert ganz wesentlich auf der Vorstellung, dass in der Ukraine ein Krieg in Vertretung für uns alle ausgetragen wird. Für unsere freiheitlichen Werte, für ein Staatensystem, in welchem Recht und nicht Stärke herrscht. 


    Der Zweck der Verteidigung der ukrainischen Unabhängigkeit gegen die russische Aggression darf nicht alle Mittel heiligen, und gewisse Minimalanforderungen an Rechtstaatlichkeit müssen bestehen bleiben – ich schlage vor, dass wir diese am bestehenden internationalen Recht festmachen. Beginnen wir mit dem Recht der Religionsfreiheit.
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    *Robert Amsterdam ist internationaler Rechtsanwalt mit 40 Jahren Erfahrung und Gründer des Anwaltsbüros Amsterdam & Partners LLP mit Büros in Washington und London. Internationale Bekanntheit erlangte er durch seine Arbeit in hochkarätigen Fällen rund die Verteidigung gegen staatlichen Machtmissbrauch. Er ist preisgekrönter Menschenrechtsanwalt und heute für sein Einstehen für die Rechtsstaatlichkeit unter anderem von Russland mit einem Einreiseverbot belegt.
     


    Eberhard Vogt
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    Eberhard Vogt ist Chefredakteur eines Businessmagazins für die Hauptstadtregion. Dem abgeschlossenen Studium der Klassischen und mittellateinischen Philologie schloss sich eine journalistische Tätigkeit an, u.a. als Korrespondent von WELT, Handelsblatt und FOCUS. Mehr als 20 Jahre war er Pressesprecher eines Wirtschaftsdachverbandes auf nationaler und europäischer Ebene. Seit vielen Jahren engagiert sich der Autor ehrenamtlich im Vorstand der Vereinigung Berliner Pressesprecher.
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