Leitzins, Missallokation, Fehlanreize
Kartenhaus der Süd- und Peripherieländer bricht zusammen
Wie von den meisten Marktbeobachtern erwartet, hat die Europäische Zentralbank (EZB) am Donnerstag den Leitzins für den Euroraum um 0,25 Prozent auf nunmehr 0,75 Prozent gesenkt. Gleichzeitig hat
EZB-Präsident Mario Draghi erklärt, dass Banken ab jetzt für ihre Über-Nacht-Einlagen bei der Notenbank keine Zinsen mehr erhalten werden. Im Gegenzug können sich Banken jetzt zu einem Zinssatz von
1,5 Prozent Geld bei der Zentralbank leihen. Damit wurden auch in diesen beiden Bereichen die Zinssätze um jeweils 0,25 Prozent gesenkt. Ziel des Maßnahmen-Paketes ist es, die Verbilligung von
Krediten zu erreichen. Gleichzeitig sollen Banken dazu animiert werden, mehr Kredite zu vergeben und ihre Liquidität nicht bei der EZB zu horten. Soweit die Theorie – in der Praxis werden die
Impulse jedoch verschwindend gering sein.
Folgen der Leitzinssenkung
Der Kreditkreislauf ist seit dem Ausbruch der Krise vor nunmehr fast fünf Jahren in den meisten Ländern massiv gestört und daran kann auch die Ausreizung der letzten kleinen Möglichkeiten bei den
Leitzinsen nichts ändern. Die Banken, besonders diejenigen in den Krisenländern, sind beschäftigt mit dem Abbau ihrer hohen Kreditrisiken, die in der Boomzeit aufgebaut wurden. Die enormen
Bilanzsummen können nur mit Hilfe durch die Notenbanken refinanziert werden. Zudem zwingen die gestiegenen Eigenkapitalanforderungen durch die Regulierungsbehörden die Banken zur Verkleinerung
ihrer Kreditbücher.
In diesem Umfeld wirken die homöopathischen Leitzinssenkungen wie der berühmte Tropfen, der den heißen Stein trifft. Dass die erste Reaktion der Anleihemärkte gestern von Käufen bei den
Staatsanleihen geprägt war und daher die Rendite der 10-jährigen Bundesanleihen auf 1,4 Prozent leicht gesunken ist, hat mit der Erwartung auf weitere, viel gravierendere Schritte der EZB zu tun.
Die Marktteilnehmer erwarten, dass der Druck auf Mario Draghi in den nächsten Wochen kräftig zunehmen wird, seinen Beitrag zur Rettung der südlichen Krisenländer klar zu formulieren.
Die Erwartung dabei ist, dass die EZB ein Kaufprogramm für Staatsanleihen der Krisenländer auflegen wird, um direkten Einfluss auf die viel zu hohen Finanzierungskosten in Spanien und Italien zu
nehmen. Diese Kosten sind bezeichnenderweise am Donnerstag im Anschluss an die Leitzinssenkung weiter angestiegen, sodass sich der Zinsabstand zwischen Deutschland und den Südländern weiter
ausgedehnt hat.
Das ist natürlich nicht im Sinn der Politik. Dass die Aufkäufe von Anleihen der nächste logische Schritt ist, zeigen ja die Vorbilder Japan, USA und auch England. Hier laufen solche Programme schon
einige Jahre und stellen sicher, dass nicht nur die kurzfristigen Geldmarktzinsen auf null stehen, sondern auch die längerfristigen Kapitalmarktzinsen von der Notenbank mitbestimmt werden.
Kartenhaus der Süd- und Peripherieländer bricht zusammen
Für den Euroraum ist die Situation jedoch ungleich komplexer als für diese Staaten. Macht doch die EZB eine Geldpolitik für 17 Mitgliedsländer mit zum Teil komplett divergierenden
Konjunkturentwicklungen. Schon seit einiger Zeit zeichnet sich dabei ab, dass bei der Bekämpfung einer Krise, die durch massive Ungleichgewichte innerhalb des Euroraumes entstanden ist, die
nächsten Ungleichgewichte gefördert werden. Diese werden zur nächsten Fehlallokation und damit zu neuen Ungleichgewichten führen.
Was meine ich damit: Allen Beteiligten ist heute klar, dass mit der Einführung des Euros und damit dem Ausschalten des Währungsrisikos innerhalb Europas eine dramatische Kapitalverschiebung von
Norden nach Süden eingesetzt hatte. Die Sparüberschüsse aus zentralen Euroländern wie Deutschland, Holland oder Österreich haben über den Transfermechanismus Banken ihren Weg in die Südländer
gefunden und dort das Wachstum getrieben und zu einem Investitionsboom und Konsumrausch geführt. Kredite für Unternehmen, Privatkunden und speziell für den Immobilienkauf wurden historisch billig
und die Verschuldung in diesen Ländern ist explodiert.
Über Jahre hat die Einheitszins-Politik der EZB dazu geführt, dass in den wachstumsstarken Peripherieländern die Zinsen, bezogen auf den Konjunkturverlauf, viel zu niedrig waren, in den
wachstumsschwachen Kernländern aber eigentlich immer noch zu hoch. Jetzt, wo klar geworden ist, dass das Kartenhaus der Süd- und Peripherieländer unter der Last der hohen Verschuldung
zusammenbricht, nützen den Krisenländern auch die tiefen Leitzinsen nicht mehr. Längst fordern die Gläubiger exorbitant hoch wirkende Risikoaufschläge für die Vergabe von neuen Krediten an die
klammen Staaten, während die Kernländer bisher als Zufluchtsort für Gelder aus den Krisenregionen gesehen werden.
Das heißt, die Kapitalströme sind nicht nur zum Erliegen gekommen, sie haben sich sogar umgekehrt. Jetzt fließen die Ersparnisse aus den Südländern in die noch bonitätsstarken und
vertrauenswürdigeren Kernländer und haben dort die Zinsen für Staatsanleihen auf historische Tiefstände getrieben. Bezogen auf die durchaus gesunde Konjunkturentwicklung in den Kernländern sind
damit jetzt bei uns die Zinsen viel zu niedrig und haben begonnen das Anlegerverhalten bei uns zu beeinflussen. Nullzins auf Spareinlagen treibt die Sparer in risikoreichere Anlagen.
Immobilien stehen da ganz oben auf der Liste. Historisch tiefe Baugeldkonditionen machen den Erwerb von Immobilien auf Kredit nochmals einfacher und attraktiver. Wenn gleichzeitig auch die Löhne
und Gehälter steigen, wirkt das wie ein Sonderkonjunkturprogramm für den Immobiliensektor – diese Entwicklung kennen wir aus Märkten wie Spanien, Irland oder Frankreich seit dem Eurostart nur allzu
gut. Nach 15 Jahren Stagnation ist jetzt die Immobilien-Konjunkturmaschine in Deutschland eingetroffen. Noch sind die Preisanstiege bei Mieten und Kaufpreisen auf die Top-Standorte konzentriert,
aber der Trend wird sich verbreitern und die Dynamik wird zunehmen. Die Neubautätigkeit wird steigen, die Beschäftigung im Immobiliensektor zunehmen.
Was im ersten Schritt als logische und auch gerechtfertigte Aufholbewegung für den deutschen Immobiliensektor nach einer langen Durststrecke aussieht, kann aber in den nächsten Jahren zu einem
gefährlichen Boom werden, der wieder die Gefahr einer Blase mit sich bringt. Heute sehen wir die Banken in Deutschland mit konservativem Kreditvergabeverhalten. Die Krise mit den Ostimmobilien ab
Mitte der 90er Jahre hat eine Generation von Hypothekenbankern geprägt. Aber immer mehr Spargeld drängt in den Sektor und auch die Banken werden mutiger werden, wenn der Markt in der Breite
boomt.
Dabei darf eines nicht vergessen werden: Genauso wie der Immobilienboom in Spanien, Portugal, Frankreich oder Irland im Kern durch eine verfehlte Zinspolitik der EZB entstanden ist, so hängt auch
das Schicksal des deutschen Immobilienmarktes an dem Dilemma der Einheitszinspolitik der EZB, die zu Missallokation und falschen Anreizen führt. Bezogen auf die aktuelle Konjunkturentwicklung,
Lohnentwicklung und Inflationsrate in Deutschland wäre das angebrachte Zinsniveau bei uns eher bei drei Prozent für den Leitzins und bei vier bis fünf Prozent für die 10-jährigen Bundesanleihen zu
sehen. 0,75 Prozent und 1,4 Prozent zeigen das Ausmaß der Fehlsteuerung zu der die EZB heute über die „Ein Zinsniveau für 17 Staaten-Politik“ gezwungen wird.
Deutschland wird bezahlen müssen
Wie geht es weiter: Wir erwarten für den Herbst ein Nachgeben der EZB in punkto Staatsanleihenkäufe der Krisenländer. Ohne diese Maßnahmen wird die Situation für Spanien und Italien unerträglich
werden. Gleichzeitig erwarten wir eine weitere Aufweichung der Position von Angela Merkel. Spanien, Italien und Frankreich haben sich zum Ziel gesetzt, ihre Vorstellungen zu Form und Zweck der
Währungsunion umzusetzen. Dazu gehören Eurobonds genauso wie die Akzeptanz höherer Inflationsraten. Die EZB haben sie als Verbündeten zur Umsetzung dieser Vorstellungen längst gewonnen. Sie
besetzen die Führungsposition und die Kernländer werden in wichtigen Entscheidungen einfach überstimmt.
Es bleibt für Herrn Weidmann als Bundesbank-Präsident nur mehr die Rolle des Mahners und einsamen Rufers in der Wüste. Frau Merkel muss sich schrittweise den Vorstellungen des Triumvirats beugen,
will sie nicht den großen Konflikt schaffen, der in letzter Konsequenz zum Austritt Deutschlands führen würde. Ein Austreten Griechenlands wäre ja noch möglich gewesen. Aber inzwischen ist allen
Krisenländern klar, dass sich innerhalb des Euros viel besser auf das Geld der Geberländer zugreifen lässt.
Große internationale Anleger haben inzwischen begonnen, die Position Deutschlands als Hort der Sicherheit in Frage zu stellen. Es kristallisiert sich immer mehr heraus, dass Deutschland zahlen
wird: entweder durch die fortschreitende Transferunion oder durch die immensen Anpassungskosten, die mit einem Ausstieg verbunden wären. Dass unter diesen Vorzeichen die Belastungen auch für
Deutschland zu groß werden könnten, lässt die aktuellen Renditen für längerfristige deutsche Staatsanleihen viel zu niedrig erscheinen. Wir erwarten daher für das zweite Halbjahr steigende
Langfristzinsen. Mit jedem EU-Gipfel bei dem Frau Merkel wieder einen Schritt Richtung Transferunion macht, wird sich diese Tendenz erhöhen. Für 2013 halten wir auch Bundesanleihe-Zinsen von drei
Prozent wieder für möglich.
Für Baufinanzierungskunden heißt das, die aktuell noch tiefen Zinsen zu nutzen und abzusichern. Auch bestehende Darlehen sollten möglichst bald verlängert und die Gunst der Stunde genutzt werden.
Diskutieren Sie über die enthaltenen Werte
1 im Artikel enthaltener WertIm Artikel enthaltene Werte