checkAd

    Von „brandgefährlich“ bis „Gift“  2916  4 Kommentare Experten zerreißen Schulden-Vorstoß von IWF-Chefin Lagarde in der Luft

    Christine Lagarde sorgt mit ihrem Schulden-Vorstoß für Aufregung: Sollte die 60-Prozent-Schuldengrenze für EU-Staaten angehoben werden oder nicht? Die Einen finden solche Forderungen „brandgefährlich“, anderen geht der Vorschlag der IWF-Chefin noch nicht weit genug. Der IWF rudert derweil zurück - alles nur ein "Denkanstoß".

    Europas Staaten versinken im Schuldenberg und das, obwohl sie eigentlich nur zu 60 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) verschuldet sein dürfen. So steht es jedenfalls im Stabilitäts- und Wirtschaftspakt der EU. Doch weil Mitgliedsstaaten trotzdem weiterhin mehr Schulden machten als erlaubt, wurde Anfang 2013 im so genannte Fiskalvertrag beschlossen, dass die EU Schuldensünder künftig sanktionieren dürfe. Das Problem: Viele der EU-Staaten kümmert das noch immer herzlich wenig, die Schuldenquote in der EU beträgt durchschnittlich rund 88 Prozent, im Euro-Raum liegt sie gar bei fast 94 Prozent. Was also tun?

    Lagarde: Schuldengrenze "anpassen"

    Für die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, liegt die Antwort auf der Hand: Wenn sich die Staaten der Schuldengrenze nicht nähern können (oder wollen), müsse eben die Schuldengrenze den Staaten entgegenkommen. Wörtlich lautet das bei ihr so: „In der EU sollte die 60-Prozent-Grenze angepasst werden mit Blick auf die Schuldenstände, die heute tatsächlich erreicht sind.“ Das sagte Lagarde bei einer Diskussionsrunde im Rahmen einer Konferenz von Zentralbankchefs der Banque de France am vergangenen Freitag in Paris.

    Kritik aus Deutschland

    Mit dieser Äußerung löste die frühere französische Finanzministerin laut „Handelsblatt“ „eine Welle der Empörung“ aus. Besonders in Deutschland erregte Lagardes Forderung nach einer Anhebung der Schuldengrenze die Gemüter. Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) hält die Äußerungen der IWF-Chefin für „brandgefährlich“, „weil sie jegliche Regelbindung der Finanzpolitik in der Eurozone aushebeln“, so Hüther gegenüber dem „Handelsblatt“.

    Ähnlich sieht das sein Kollege Marcel Fratzscher. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), zeigt sich empört und spricht von einer „völlig verfehlten und kontraproduktiven Empfehlung“. Angesichts einer noch immer vorherrschenden Vertrauenskrise wäre es „Gift“, das wackelige Vertrauen durch eine Aufweichung der gemeinsamen Regeln weiter zu schädigen, sagte Fratzscher dem „Handelsblatt“.

    Kritik auch aus der Politik: „Wenn Frankreich und Italien damit Probleme haben, müssen die Probleme dort gelöst werden, anstatt Verträge auszuhebeln“, poltert Norbert Barthle (CDU), Vorsitzender der Arbeitsgruppe Haushalt der Union-Bundestagsfraktion. Thorsten Schäfer-Gümbel von der SPD stimmt zu: Einfach nur die Höchstgrenze der Staatsverschuldung in Europa abzuschaffen sei keine ausreichende Lösung.

    Für ifo-Präsident Hans-Werner Sinn ist klar: Lagarde wolle schlicht höhere Schulden machen. Doch längst nicht alle Experten stehen dem Vorstoß der IWF-Chefin derart kritisch gegenüber. Im Gegenteil, manchem Ökonomen greift die Forderung nach einer Anhebung der Schuldengrenze gar zu kurz.

    Schuldengrenze ganz abschaffen!

    Gustav Horn, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), setzt im „Handelsblatt“ noch einen drauf und fordert: Schafft die Schuldengrenze von 60 Prozent ganz ab! Die derzeitige Lage enthülle die Problematik starrer wirtschaftspolitischer Regelbindungen, so Horn. Während Fratzscher die Anhebung der Schuldengrenze als schädlich für das Vertrauen ansieht, macht Horn die Schuldengrenze per se für den Vertrauensverlust verantwortlich: Die Festsetzung von exakt quantifizierten Schwellenwerten laufe immer wieder Gefahr, an der Realität zu scheitern und damit wirtschaftspolitische Entscheidungen ihrer Glaubwürdigkeit zu berauben. Insofern sei es unsinnig, die eine Schwelle abzuschaffen, um sie durch eine neue starre Schwelle zu ersetzen, die möglicherweise ebenfalls revidiert werden muss, meint Horn und plädiert stattdessen für „fiskalische Flexibilität“.

    IWF rudert zurück: Alles nur ein Denkanstoß

    Flexibilität ist auch das Motto der Stunde beim IWF. Dort hat man nämlich ganz schnell zurückgerudert und die Äußerungen Lagardes inzwischen relativiert. Es sei lediglich ein Denkanstoß gewesen, kein offizieller Vorstoß des IWF, betonte ein IWF-Sprecher gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung". In einer Pressemitteilung heißt es: „Der IWF hat nicht empfohlen, die Maastricht-Kriterien zu ändern.“ Verfehlt hat der „Denkanstoß“ seine Wirkung dennoch nicht.





    wallstreetONLINE Redaktion
    0 Follower
    Autor folgen
    Mehr anzeigen

    Melden Sie sich HIER für den Newsletter der wallstreetONLINE Redaktion an - alle Top-Themen der Börsenwoche im Überblick! Verpassen Sie kein wichtiges Anleger-Thema!


    Für Beiträge auf diesem journalistischen Channel ist die Chefredaktion der wallstreetONLINE Redaktion verantwortlich.

    Die Fachjournalisten der wallstreetONLINE Redaktion berichten hier mit ihren Kolleginnen und Kollegen aus den Partnerredaktionen exklusiv, fundiert, ausgewogen sowie unabhängig für den Anleger.


    Die Zentralredaktion recherchiert intensiv, um Anlegern der Kategorie Selbstentscheider relevante Informationen für ihre Anlageentscheidungen liefern zu können.


    Mehr anzeigen

    Von „brandgefährlich“ bis „Gift“ Experten zerreißen Schulden-Vorstoß von IWF-Chefin Lagarde in der Luft Christine Lagarde sorgt mit ihrer Schulden-Äußerung für Aufregung: Die Einen finden solche Forderungen „brandgefährlich“, anderen geht der Vorschlag der IWF-Chefin noch nicht weit genug. Der IWF rudert derweil zurück - alles nur ein "Denkanstoß".

    Disclaimer