Grexit-Drohpotenzial
Mit Kapitalflucht zum Erfolg – Sinn erklärt die Taktik der griechischen Regierung
Hans-Werner Sinn will die Taktik der griechischen Regierung durchschaut haben. Ausgerechnet die anhaltende Kapitalflucht soll demnach der Schlüssel zum Erfolg sein. Dafür gibt es Lob vom ifo-Präsidenten: „Da sage einer, Varoufakis verstehe nichts von Politik.“
Um zu zeigen, wie dramatisch die Lage in Griechenland ist, wird gerne auf die anhaltende Kapitalflucht verwiesen. Immer mehr Bürger holen immer mehr Geld von ihren Konten und bringen damit nicht nur das Bankensystem in Bedrängnis, sondern das gesamte Land. Griechenland steht mit dem Rücken zur Wand und das nicht zuletzt, weil die Griechen ihr Geld lieber ins Ausland bringen, heißt es.
Hans-Werner Sinn sieht das anders. Nach Ansicht des ifo-Präsidenten ist die Kapitalflucht eher Segen als Fluch für die griechische Regierung. Mehr noch: Sie sei Teil des Athener Plans, die Kosten für einen Grexit in die Höhe zu treiben.
Im „Handelsblatt“ will Sinn den Sinn der griechischen Verhandlungsstrategie erkannt haben. Während Regierungschef Alexis Tsipras im Vordergrund mit den Geldgebern um Plan A – das Verhandlungsergebnis – feilscht, kümmert sich Finanzminister Yanis Varoufakis im Hintergrund parallel um Plan B, dem Austritt aus dem Euro. Ziel sei es, die Kosten für Plan B so hoch zu treiben, dass am Ende bei Plan A ein besseres Ergebnis für die griechische Seite erreicht werden könne. „Das Rollenspiel gehört zur Strategie“, schreibt Sinn und beantwortet damit indirekt die kürzlich von wallstreet:online gestellte Frage: Der gute Tsipras, der böse Varoufakis – Alles nur Inszenierung?
Mit Plan B zum maximal möglichen Ergebnis
Laut dem ifo-Präsidenten basiere Varoufakis‘ Plan B auf zwei Elementen. Einerseits müsse man provozieren, um die eigene Bevölkerung für den Fall eines Austritts zu emotionalisieren. Sinn: „Ohne die Eskalation des Streits wäre das griechische Volk nicht bereit, der Regierung während der schwierigen Zeit nach dem Austritt die Treue zu halten.“
Andererseits spiele die bereits beschriebene Kapitalflucht eine zentrale Rolle. Indem die griechische Regierung ihren Bürgern die Kapitalflucht erlaube statt sie einfach durch Kapitalverkehrskontrollen zu unterbinden, treibe sie die Grexit-Kosten für die Gegenseite in die Höhe, so Sinn.
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Sein Argument: Das Kapital wandere nicht per Saldo ins Ausland. Vielmehr würden sich die griechischen Bürger bei ihren Banken Geld leihen, das im Wesentlichen durch Ela-Notfallkredite der griechischen Notenbank gegenfinanziert werde. Dieses Geld würden die Bürger dann ins Ausland überweisen und so die Notenbanken anderer Länder zwingen, ohne Kreditvergabe neues Geld zu schaffen und die Zahlungsaufträge zu erfüllen. In der Folge wäre das griechische Vermögen bei einem Grexit sicher im Ausland geparkt, während die ausländischen Notenbanken auf ihren Euro-Targetforderungen gegenüber der griechischen Notenbank sitzen blieben, prophezeit Sinn. „Letztere ist dann nämlich bankrott, weil ihre Aktiva auf abgewertete Drachmen lauten und der griechische Staat weder haften muss noch haften kann.“
„Da sage einer, Varoufakis verstehe nichts von Politik“
Interessanterweise geht die Rolle des Buhmanns aber ausnahmsweise nicht an Varoufakis, obwohl er als Spieltheoretiker hinter diesem Plan B stecke. Stattdessen zollt ihm Sinn sogar Respekt, da er auf diese Weise das maximal Mögliche für die griechische Verhandlungsposition herausholen würde: „Da sage einer, Varoufakis verstehe nichts von Politik.“ Nein, nicht der griechische Finanzminister ist laut Sinn der Buhmann, sondern die Europäische Zentralbank (EZB). Ihre Ela-Kredite hätten die griechischen Banken trotz Kapitalflucht liquide gehalten und der griechischen Regierung die Einführung von Kapitalverkehrskontrollen erspart (siehe: EZB hält „Zombiebanken“ am Leben – die Zeche zahlen die Anderen). Somit werde Athen dank der Unterstützung durch die EZB eine Kombination aus Hilfsgeldern und einem Verzicht an Reformauflagen erstreiten können, die wesentlich günstiger für sie ist als alles, was sie zu einem früheren Zeitpunkt hätte erreichen können.“
Entspricht das von Sinn entworfene Szenario der Wahrheit, lässt sich zum Abschluss wahrscheinlich nur sagen: Well played, Griechenland. Es sei denn, es kommt am Ende doch alles ganz anders.
Medienberichte: Euro-Länder bereiten Kapitalverkehrskontrollen vor
Aktuell sollen die Euro-Länder einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" zufolge nun das vorbereiten, was die griechische Regierung laut Sinn absichtlich nicht einführen wollte: Kapitalverkehrskontrollen. Diese seien zentraler Bestandteil eines Notfallplans, sollte am Donnerstag keine Einigung erzielt werden. Demnach sehe der Plan vor, am Wochenende die Kontrolle des griechisch-europäischen Zahlungsverkehrs vorzubereiten, um einen Bankensturm zu verhindern.