Wirtschaftsweise
EU-Politik nach Brexit: Mehr oder weniger Integration von Nöten?
Mit einer knappen Mehrheit stimmten die Briten am 23. Juni für einen Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union. Die Märkte gerieten ins Wanken, das Pfund setzte zu einem Sinkflug an, der bis dato nicht gebremst ist. Britische Immobilienfonds machen die Schotten dicht und so manch einer bereut auch seine Brexit-Entscheidung. Es sollte ein Denkzettel an die Regierung sein, hörte man von unterschiedlichen Seiten. Die verantwortlichen Politiker machen sich nach und nach aus dem Staub - seien es die Brexit-Befürworter Boris Johnson von den Konservativen oder Nigel Farage von der Ukip. Das Chaos Aufräumen sollen doch die anderen… Doch auch David Cameron - seines Zeichens Ministerpräsident des Landes - hat seinen Posten zur Verfügung gestellt.
Nationale Weichenstellung in Fiskal-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik
Was nun Europa? Was nun europäische Union? Diese Fragen stellte sich auch der Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Vier der fünf Sachverständigen warnen aktuell davor, die wirtschaftspolitische Integration in Europa nach dem Brexit voranzutreiben. „Das gemeinschaftliche Vorgehen sollte nur dort vertieft werden, wo gemeinsames Handeln zu besseren Lösungen führt, etwa bei der Sicherheits-, Asyl- und Klimapolitik“, so die Wirtschaftsweisen in einem gemeinsamen Beitrag in der Wochenzeitung „Die Zeit“. Und ergänzen: „Die einzelnen Mitgliedstaaten müssen hingegen wieder mehr Verantwortung für ihre Entscheidungen in denjenigen Politikbereichen übernehmen, in denen ihre Bürger unterschiedliche Wünsche und Vorstellungen haben und deshalb die nationale Souveränität nicht aufgeben wollen, etwa bei der Fiskal-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik.“
Sachverständigen raten zur Integrationpause
Entgegen den Vorschlägen zu einer weitere vertiefenden Integration auf EU-Ebene, raten die Sachverständigen zu einer Integrationspause: „Eine überhastete Vertiefung – etwa in Richtung einer
europäischen Sozialunion – wäre kaum nachhaltig. Sie würde lediglich vortäuschen, dass der Wohlstand in Europa gesichert werden kann, indem ein Bollwerk gegen die Globalisierung errichtet
wird.“
Ziel müsse es sein, „Europa durch seinen wirtschaftlichen Erfolg so attraktiv zu machen, dass die Bürger deren Vorteile besser verstehen, und gleichzeitig die Identifikation mit dem europäischen
Projekt zu stärken“. Im Falle eines formellen Austrittsgesuchs der Briten gelte es, „ohne Zorn und doch in der Sache hart“ zu verhandeln. Dabei müsse das Signal vermieden werden, „die
Mitgliedschaft im Club sei nur mit Blick auf dessen Privilegien, aber ohne die damit verbundenen Verpflichtungen zu haben“.
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Der Sachverständigenrat besteht aus fünf Mitgliedern. Den Beitrag in der Wochenzeitung „Die Zeit“ haben Christoph M. Schmidt, Lars P. Feld, Isabel Schnabel und Volker Wieland. Dem Rat gehört zudem Peter Bofinger an.