Das ist krank!
Milliardenschaden - Krankenkassen machen Kohle mit unnötigen Diagnosen
Die gesetzlichen Krankenkassen geben pro Jahr etwas über eine Milliarde Euro aus, um ihre Patienten so krank wie möglich erscheinen zu lassen. Das hat eine Berechnung einer gesetzlichen Kasse für die „Welt am Sonntag“ ergeben. Demnach zahlen viele Kassen unter anderem Prämien an Ärzte, damit diese den jeweiligen Versicherten möglichst viele Diagnosen für Volkskrankheiten wie Diabetes, Osteoporose oder Adipositas bescheinigen. Insgesamt belaufen sich die Kosten auf hochgerechnet 842 Millionen Euro jedes Jahr.
Morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich
Viele Krankenkassen versuchen offenbar, einen Umverteilungsmechanismus zu ihren Gunsten zu beeinflussen: den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (RSA). Die gut 200 Milliarden Euro an
Beiträgen, die gesetzlich Versicherte pro Jahr an ihre Kassen zahlen, werden in diesen Gesundheitsfonds eingebracht. Abhängig davon, wie viele kranke Versicherte eine Kasse hat, wird das Geld
wieder ausgeschüttet. Für jedes Mitglied mit einer ausgleichsrelevanten Volkskrankheit erhalten die Versicherungen Zuschläge, im Schnitt gut 1000 Euro pro Diagnose.
Einige Krankenkassen versuchen daher, ihre Versicherten kränker erscheinen zu lassen als diese es tatsächlich sind. Das belegen auch interne Dokumente von Dienstleistern, die der „Welt am Sonntag“
vorliegen. Diese Firmen werden von Kassen damit beauftragt, Versicherte abzutelefonieren und diese in Arztpraxen zu lotsen, wo Ärzte dann die nötigen Diagnosen stellen können. Die Kasse erhält dann
mehr Geld aus dem Ausgleichstopf. Die Patienten haben offenbar in vielen Fällen keinen Nutzen aus den zusätzlichen Diagnosen, denn häufig folgen keine weiteren Behandlungen oder Verschreibungen
daraus. Ein externer Dienstleister wirbt explizit mit diesen niedrigen Folgekosten.
Aus der Berechnung für die „Welt am Sonntag“ geht hervor, dass diese Prämienzahlungen an Ärzte und Provisionen für Dienstleister, bei denen es vor allem darum geht, möglichst viele
Ausgleichszahlungen zu erhalten, jeden Versicherten pro Jahr rund 20 Euro kostet.
Ausgleichsmechanismus ist unnötige Black-Box
Lesen Sie auch
In der Politik wächst die Kritik am Ausgleichsmechanismus. „Diese zentralistische Geldsammelstelle ist eine unnötige ‚black box’ im System“, sagte Bayerns Staatsministerin für Gesundheit und Pflege, Melanie Huml (CSU). Ein Solidarausgleich für Kassen mit überdurchschnittlich vielen Kranken und wenig zahlungskräftigen Versicherten sei auch auf andere, transparentere Weise möglich. Huml plädiert dafür, Gelder zwischen den Kassen in Zukunft dezentral zu verschieben, also direkt von einer zur anderen Kasse, um solche „fragwürdigen Kodierungs-Strategien“ zu vermeiden.