Zinsen
Das teure „Comeback“ der Nominalwertillusion
Konservative Anleger frohlocken, denn die Zeit der Negativzinsen ist vorbei. Es gibt wieder Zinsen.
Das erste Mal hatte die EZB am 21. Juli 2022 die Leitzinsen angehoben und markierte damit die Zinswende. Und es folgten mehrere Zinsschritte. Grund war die Rekordinflation von 10,4 Prozent im Oktober 2022, die mit 10 Prozent im November weiterhin auf hohem Niveau verharrte. In den folgenden Monaten sank die Inflation, allerdings spielten die staatlichen Entlastungen bei Gas und Fernwärme dafür die wesentliche eine Rolle.
Bis zum Juli 2022 herrschte in der Zinswelt der Negativzins. Ein Szenario, das lange Zeit nur theoretisch möglich erschien, wurde im Juni 2014 erstmalig brutale Realität. Zu diesem Datum führte die EZB den Negativzins ein. Dieser Zinssatz wurde immer weiter gesenkt, bis er im September 2019 mit minus 0,5 Prozent seinen niedrigsten Stand erreichte. Wurden in der Anfangszeit nur Großvermögen im siebenstelligen Bereich belastet, gaben die Banken in den folgenden Monaten ihre Zurückhaltung zunehmend auf und belasteten auch kleinere Liquiditätsrücklagen und berechneten 0,5 Prozent. Plötzlich mussten Kunden dafür bezahlen, ihr Geld bei der Bank zu halten.
Die Vorteile der Zinswende werden kaum weitergegeben
Weniger euphorisch allerdings zeigen sich die meisten Bankinstitute derzeit, wenn es um die Weitergabe der Guthabenzinsen geht. Fast alle Banken geben die Vorteile der Zinswende gar nicht oder nur rudimentär an die Sparer weiter. Wenn doch, dann häufig nur in Form von zeitlich befristeten Lockangeboten. Bei fast einem Drittel aller Banken gehen die Verbraucher sogar immer noch leer aus. Ohne große Gegenwehr lassen viele Bankkunden die Zins-Abzocke der Banken über sich ergehen. Dass es auch anders geht, zeigen Neobroker, die bereits zu Jahresbeginn eine Zinsoffensive ausgerufen haben. Allerdings ist auch dort die Einlagehöhe häufig gedeckelt. Ohne Deckelung bietet derzeit die V-Bank ein marktgerechtes Angebot. Dieses Angebot steht jedoch nur Vermögensverwaltungskunden der Bank offen.
Das „Comeback“ der Nominalwertillusion
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Die Passivität vieler Sparer hat einen einfachen Grund. Mit den positiven Zinsen kam es zu einem „Comeback“ der Nominalwertillusion. Es scheint, als ob viele Anleger zunehmend den Blick für den realen Wert ihres Geldes verlieren und sich wieder verstärkt auf den reinen nominalen Wert konzentrieren. Die Nominalwertillusion führt dazu, dass Menschen den Erfolg ihrer Geldanlagen allein anhand der absoluten Geldsumme bewerten und dabei die Inflation und andere Faktoren, die den Wert des Geldes beeinflussen, außer Acht lassen. Es ist verständlich, dass ein höherer nominaler Betrag auf dem Konto erfreulich ist. Doch was nützt ein größerer Geldbetrag, wenn die Kaufkraft des Geldes gleichzeitig abnimmt? Wer sich allein auf den nominalen Wert seiner Anlagen konzentriert, erhält ein trügerisches Bild davon, wie erfolgreich seine Investitionen tatsächlich sind. Insbesondere bei langfristigen Investitionen ist es wichtig, den realen Wert des Kapitals im Auge zu behalten. Im Mai 2023 lag die Inflationsrate in Deutschland bei 6,1 Prozent. Im März und April 2023 hatte die Inflationsrate noch bei über sieben Prozent gelegen.