Neues aus dem Smart Investor
Der Vonovia-Index: Schlechtes Omen für den Immobilien-Markt?
Während der breite Immobilienmarkt lediglich ein Abbremsen des Booms suggeriert, sind Immobilien-Aktien regelrecht kollabiert. Stellt sich die Frage, ob Häuslebauer oder Börsianer die Zukunft korrekt einpreisen.
Der Krieg in der Ukraine und die massiv steigenden Zinsen haben geschafft, was die Corona-Krise nicht vermochte: Der bereits seit der Finanzkrise 2008 anhaltende Boom der Immobilienpreise ist zu einem abrupten Ende gekommen. Zum ersten Mal seit Jahren steigen nun die Preise auch in den großen Metropolen nicht mehr; angesichts einer Verdreifachung der Bauzinsen, explodierender Baukosten, der Gefahr einer ernsthaften Energiekrise und einer spürbaren Abschwächung der Konjunktur ist dies auch keine Überraschung.
Vielmehr verwundert die Tatsache, dass sich die Preise für das vermeintliche Betongold nach offiziellen Zahlen bislang relativ stabil halten und laut diverser Marktindizes lediglich marginale Preisrückgänge zu verzeichnen sind. Doch der Immobilienmarkt ist traditionell träge. Verkäufer haben sich in mehr als zehn Jahren des Booms an den kontinuierlichen Preisanstieg gewöhnt. Ein Abschwung beginnt daher typischerweise zunächst mit einer deutlichen Zunahme des Angebots.
Erst mit gewissem Verzug realisieren die Verkäufer, dass sich die Welt verändert hat, und sind zu preislichen Zugeständnissen bereit. Gleichzeitig ist es im Immobilienbereich ungleich schwerer als am Aktienmarkt, aussagekräftige Indexdaten zu erhalten – schließlich ist jede Transaktion individuell, die meisten davon zudem unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Der DAX für deutsche Wohnimmobilien
Weitaus schneller im Einpreisen veränderter Rahmendaten ist dagegen bekanntlich die Börse. Getreu dem Motto der Investorenlegende Charlie Munger, stets alles aus einer um 180 Grad gedrehten
Perspektive zu betrachten („invert, always invert“), können Anleger daher den Versuch unternehmen, den aktuellen Kurs einer besonderes für den deutschen Immobilienmarkt repräsentativen Aktie als
Gradmesser für den Gesamtmarkt zu nehmen und aus Kursdaten auf Marktdaten zu schließen.
Welches Unternehmen läge da näher als Vonovia? Der Branchenprimus in Deutschland besitzt ein Portfolio von rund 505.000 Wohneinheiten verteilt auf die gesamte Republik. Neben vielen B-Städten ist Vonovia auch in Boom-Metropolen wie Berlin, Hamburg, Stuttgart oder München präsent. Nach eigenen Angaben ist Vonovia zudem überwiegend in Regionen mit zunehmender Bevölkerung tätig. Das Unternehmen ist mit seinem Bestand mehr als viermal so groß wie der nächstgrößte Konkurrent.
Zu behaupten, Vonovia sei so etwas wie der DAX der deutschen Wohnungswirtschaft, ist damit keine Übertreibung. Auf den Kurs einer Immobilienaktie zu blicken ist zunächst einmal jedoch keine große Kunst. Natürlich betrachten Börsianer auch den Kurs im Verhältnis zum Net Asset Value (NAV), dem vom Unternehmen ausgewiesenen Zeitwert des Immobilienbestands. Wirkliches Invertieren ist es jedoch, aus dem Aktienkurs den tatsächlichen Zeitwert des NAV zu schätzen – völlig unabhängig von den fiktiven Schätzwerten der modernen Bilanzakrobatik.
101
Milliarden Euro Schätzwerte
Denn in Vonovias Bilanz steht zunächst einmal ein Wert des Immobilienportfolios von rund 101 Mrd. EUR. Nach
geltenden IFRS-Bilanzierungsregeln sollte dies der sogenannte Fair Market Value sein. Doch bei dessen Bestimmung wären wir wieder beim oben skizzierten Problem angekommen: Was ist bei Immobilien
tatsächlich der faire Marktwert und wie lässt sich dieser aus bruchstückhaften Daten bestimmen?
Vonovia – wie praktisch alle großen Player der Branche – hat in der Vergangenheit regelmäßig Neubewertungen seines Bestands vorgenommen, wenn sich entsprechende Parameter verändert haben. So lassen sinkende Zinsen oder höhere Multiplikatoren bei Transaktionen mit vergleichbaren Portfolios das simple „Hochschreiben“ des Bestands in der eigenen Bilanz zu – mit gleichzeitiger Realisierung entsprechender Buchgewinne. Für wie unrealistisch die Börse diese Zahlen hält, hat der Absturz der Aktie im letzten halben Jahr schonungslos offenbart. Bei Adjustierung des angeblichen Bilanzwerts von 101 Mrd. EUR….
Autor: Josef Obermeier
Erscheinungsdatum 24.09.2022