Vollgas in China
Eldorado der Autoindustrie
Das Eldorado der Autoindustrie ist derzeit China. „Der Stand der Motorisierung entspricht dem Deutschlands im Jahr 1956“, bringt Torsten Knaussmann, Produktionschef von Shanghai
Volkswagen, das ungeheure Potenzial auf den Punkt. Oder anders: „Zwei von 100 Chinesen besitzen ein Auto, bei den Deutschen sind es 56 von 100“, rechnet Winfried Vahland, China-Statthalter von
Volkswagen, begeistert vor. Dabei titelte vergangene Woche die Parteizeitung „China Daily“: „Der Absatzrückgang bei Pkw setzt sich im Mai fort“. Doch das stimmt nur auf kurze Sicht. Nach wie vor
erweist sich China als Antriebsmotor für die Autoindustrie. Im vergangenen Monat wurden über eine Million Autos abgesetzt. Ein sattes Plus von 23,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Von solchen Werten sind Automärkte wie die USA und Europa weit entfernt, die nach der Krise nur allmählich wieder an Fahrt gewinnen. Die großen US-Autohersteller gehen aufgrund der Mai-Zahlen davon
aus, dass im Gesamtjahr in den Staaten 11,4 Millionen Autos verkauft werden. 2009 war der Absatz auf 10,4 Millionen (inklusive Light Vehicles) abgestürzt – die niedrigste Absatzzahl seit 27 Jahren.
Doch diese Erholung ist nichts im Vergleich zum Markt in China: Die offiziellen Stellen erwarten 2010 einen Pkw-Absatz von 15 bis 17 Millionen. Damit hat die Volksrepublik den USA endgültig den
Rang als größter Automobilmarkt weltweit abgelaufen.
Und dies, obwohl ein Teil der steuerlichen Hilfe eingestellt wurde: Ähnlich wie in Deutschland zahlte die Regierung zur Ankurbelung der Wirtschaft während der Konjunkturkrise 2009 jedem Bürger bis
zu 600 Euro Prämie, wenn er Alt gegen Neu tauschte. Das ließen sich viele Chinesen nicht zweimal sagen. 8,5 Millionen verkaufte Autos registrierte die China Passenger Cars Association Ende 2009,
ein Plus von 54 Prozent gegenüber 2008. Und viele Chinesen geben sich auch nach dem Ende der Abwrackära nicht mit Secondhandautos ab. Zwischen 60 und 70 Prozent der Käufer wollen derzeit einen
Neuwagen.
Kauflustig: Der chinesische Automarkt boomt. Im laufenden Jahr dürfte der Absatz um 20 Prozent steigen. Damit bleibt China der größte Pkw-Markt der Welt.
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Da herrscht Goldgräberstimmung. Nirgendwo sonst tummeln sich so viele Marken und Hersteller wie auf dem chinesischen Markt. Stolze 49 Autobauer mit insgesamt 69 Marken buhlen um
die Gunst der Kunden; in Europa sind es 22 Hersteller, in den USA treten gerade mal 17 an. Zwar ging im Mai der Absatz gegenüber April um 5,9 Prozent zurück. Aber Marktkenner wie Vahland bleiben
gelassen: „Wir erleben eine Beruhigung und Stabilisierung des Marktes nach dem Auslaufen der Abwrackprämie“, sagt er. „Wir erwarten trotzdem für die kommenden Jahre zweistellige Wachstumsraten.“
Und der scheidende China-Chef glaubt, dass die Volkswagen-Gruppe im selben Maß wie der Markt wachsen kann. Das bedeutet 20 Prozent mehr – zumindest in diesem Jahr. Und er scheint recht zu behalten:
Im Mai eroberten die Volkswagen-Marken VW, Seat und Audi einen Marktanteil von 17,5 Prozent und sind Marktführer vor der
GM-Gruppe und Hyundai.Der Optimismus des 55-Jährigen wird gestützt von einer aktuellen McKinsey-Studie zur Entwicklung des Automarkts. Darin prognostizieren die Autoren für 2020 einen Pkw-Absatz
von 20 bis 21 Millionen pro Jahr. Diese Traumwerte begründet McKinseys Autoexpertin Sha Sha zum einen mit der wachsenden Mittelschicht, die durch steigende Einkommen vom Wachstum profitiert. Zum
anderen werden die Absätze durch den hohen Urbanisierungsgrad der kommenden Jahre unterstützt.