Neuer Vorstandschef Joe Kaeser sorgt für frische Impulse bei Siemens
Die Gewinnwarnung und der Vorstandswechsel haben der Siemens AG turbulente Monate beschert. Der neue Chef Joe Kaeser möchte den Konzern in ruhigeres Fahrwasser steuern. Analysten glauben an das Potenzial des Konzerns.
Viele fragten sich, ob der neue Vorstandschef der Siemens AG Joe Kaeser nun zufriedener ist als noch vor einigen Wochen. Wer seinen aktuellen Handyklingelton hört, könnte es meinen. Vor seinem Amtsantritt ertönte die raue Stimme von Mick Jagger, der in „I can’t get no Satisfaction“ ächzt, wie sehr ihm alles auf die Nerven geht. In seiner neuen Funktion läutet Kaesers Handy mit den sanften Stimmen der Beatles im Song „In my Life“, wie er dem Focus berichtete. Anleger hoffen, dass nun auch ruhigere Zeiten bei dem DAX®-Konzern eingeläutet werden. Die vergangenen Monate waren turbulent. Erst musste Siemens Ende Juli dieses Jahres eine Gewinnwarnung für 2014 herausgeben und wenige Tage später trat Peter Löscher zurück. Der ehemalige Finanzvorstand Joe Kaeser soll es nun richten. Dass er der Richtige für diese Aufgabe sein könnte, glauben einige Journalisten schon länger. Für sie ist Kaeser, der aufgrund seiner Ähnlichkeit mit einem ägyptischen Schauspieler auch „Omar Sharif vom Wittelsbacherplatz“ – eine Anspielung auf den Standort der Konzernzentrale in München – genannt wird, seit Jahren der heimliche Vorsitzende. Er verbrachte sein bisheriges Berufsleben bei Siemens und kennt jeden verborgenen Winkel des Unternehmens. Bei Mitarbeitern ist er beliebt. Der 56-Jährige lenkt nun einen 370.000-Mitarbeiter starken Technologiekonzern, der sich mit seinen vier Sektoren Energy, Healthcare, Industry sowie Infrastructure & Cities praktisch mit allen Megathemen der Zukunft beschäftigt: Er stellt Technologien her, die dafür sorgen, dass Menschen Wasser effizienter nutzen können, er baut riesige On- und Offshore-Windparks, um die Energiewende voranzutreiben, und er möchte nach eigenem Bekunden dazu beitragen, dass Gesundheitsvorsorge bezahlbar wird.
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Große Veränderungen geplant
Wohin Kaeser Siemens genau steuern will, möchte er erst im Herbst konkretisieren. Klar ist, dass er große Veränderungen plant. Wie wichtig ihm die Aufgabe ist, zeigte
sich in einem Interview mit dem Magazin Focus. Er betonte, dass ihm sein Gehalt nicht wichtig sei und er nicht genau wisse, wie viel er als Vorstandschef verdiene. „Mir war jedoch eine fünfjährige
Laufzeit ganz wichtig, weil sich das, was wir jetzt anpacken müssen, nicht in drei Jahren erledigen lässt“, so Kaeser. Eine grobe Ausrichtung ist schon jetzt zu erkennen: Er will sparen und
unrentable Bereiche des Unternehmens verkaufen. Gleichzeitig möchte er, dass Siemens mehr innovative Produkte auf den Markt bringt, um den Anschluss an
die Weltspitze nicht zu verlieren. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Löscher will Kaeser den Konzern nicht nur auf Rendite trimmen. Löscher wollte mit
seinem Sparprogramm „Siemens 2014“ die Ergebnisrendite, die Ende des vergangenen Siemens-Geschäftsjahres bei 9,5 Prozent lag, auf 12 Prozent steigern. Der
Neue schlägt vorsichtigere Töne an. „Ob dann statt 12 Prozent etwa 10 Prozent oder eine andere Zahl das neue Ziel sind, ist nicht ausschließlich relevant“, zitierte ihn das manager magazin. Dennoch möchte Kaeser daran festhalten, unrentable Bereiche abzustoßen. „Bei Unternehmen ist das oft wie bei Obstbäumen. Die muss man
regelmäßig zurückschneiden, und zwar zur richtigen Zeit. Das sieht dann erst einmal schrecklich aus“, sagte Kaeser dem Focus. „Aber die Bäume werden
dadurch stärker, weil sich die verbliebenen Äste anschließend besser entwickeln können.“ So trennte sich Siemens von dem Gemeinschaftstelekommunikationsunternehmen Nokia Siemens Networks (NSN). Des
Weiteren spaltete sich der Glühbirnenkonzern Osram im Juli dieses Jahres ab. Ob Kaeser die richtige Strategie verfolgt, wird sich zeigen. Die Zahlen zum
dritten Geschäftsquartal, die Siemens fast zeitgleich mit Löschers Rücktritt veröffentlichte, waren durchwachsen. Das Unternehmen verbuchte einen leichten Umsatzrückgang von 2 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Die gute Nachricht ist aber, dass der Auftragseingang im dritten Quartal um 19 Prozent angewachsen ist. Damit
erzielte Siemens einen neuen Rekord. Insgesamt liegt der Auftragsbestand nun bei 102 Milliarden Euro. Das Sparprogramm „Siemens 2014“ wird den Konzern
unter anderem wegen der Umstrukturierungen zwar noch mit einer Milliarde Euro belasten. Dennoch rechnet das Unternehmen aufgrund der guten Auftragslage für dieses Geschäftsjahr mit einem Gewinn von
vier Milliarden Euro. Diese guten Nachrichten verdankt Siemens unter anderem einem der größten Bahnprojekte in Großbritannien. Das Department for
Transport in London hat das Unternehmen für 1,8 Milliarden Euro beauftragt, insgesamt 1.140 Regionalzüge in die britische Hauptstadt zu liefern. Dies ist Siemens’ größtes Bahnprojekt und
gleichzeitig der größte Auftrag, den der Konzern jemals in Großbritannien gewonnen hat. Die ersten Züge sollen ab 2016 auf der neu gebauten Thameslink-Strecke rollen, die Bedford im
Nordosten Londons mit Brighton an der Südküste Englands verbinden.