Emerging Markets
Schwellenländer zur Jahresmitte in Erholungsphase
Wie ich immer wieder sage, erfordert die Kapitalanlage auf Schwellenmärkten Geduld, eine langfristige Perspektive und gezielte Aktienauswahl. Viele Anleger
konzentrieren sich meiner Ansicht nach zu stark auf kurzfristige Entwicklungen. Als langfristige Investoren betrachten wir kurzfristige Volatilitätsschübe als Gelegenheit, potenzielle Schnäppchen
für unsere Portfolios ausfindig zu machen, und genau so war es auch im ersten Halbjahr. Die Stimmung auf den Schwellenmärkten war zu Jahresbeginn nach einem schwachen 2013 offenbar auf einem
Tiefpunkt. Die ersten Drosselungen des quantitativen Lockerungsprogramms durch die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) lösten offensichtlich Ängste vor einem Versiegen der Liquidität aus, und Sorgen
um potenziell schwächeres Wachstum in China fürs laufende Jahr veranlassten manche Investoren zur Zurückhaltung. Auch Schlagzeilen über Konflikte und Gewalt in Ländern wie der Ukraine, der Türkei,
Thailand und Nigeria trübten die Anlegerstimmung in der ersten Jahreshälfte insgesamt – ebenso wie Zweifel am Stand der Vorbereitungen Russlands für die olympischen Winterspiele und Brasiliens für
die FIFA Fußball-Weltmeisterschaft. Angeheizt wurde das Anlegerinteresse offenbar durch positivere Impulse wie wiedererwachte Hoffnung auf dem indischen Markt nach der Wahl, das Ausbleiben einer
harten Landung der chinesischen Wirtschaft und die Hochstufung Katars und der Vereinigten Arabischen Emirate von Grenz- zu Schwellenmärkten. Die Schwellenmärkte befinden sich nach unserer
Einschätzung insgesamt nach dem 2013 verzeichneten Rückstand mittlerweile in einer Phase, die als „Erholung“ bezeichnet werden könnte, sofern keine weiteren unerwarteten Schocks auftreten.
Als Investor auf Schwellenmärkten muss man unserer Ansicht nach auf das Gesamtbild schauen. Die Schwellenmärkte haben nur in drei der letzten zehn Jahre schwächer abgeschnitten als die
Industrieländer. 2013 gehörte dazu.[1] Im ersten Halbjahr 2014 haben die Schwellenmärkte die Industrieländer generell überrundet.[2] Die Erholung der Schwellenmärkte tritt meines Erachtens in eine
optimale Phase ein. Verschiedene Märkte aus einer noch geringer entwickelten Untergruppe der Schwellenländer, den Grenzmärkten, wirken auf uns derzeit besonders attraktiv.
Anleger schenken Schwellenmärkten mehr Beachtung
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Die Nervosität, die im letzten Jahr und Anfang 2014 bezüglich der Schwellenmärkte herrschte, erscheint mittlerweile in manchen Fällen übertrieben. Aus Liquiditätsperspektive ist die Fed nicht die
einzige Bezugsquelle auf der Welt: Japan hat ein eigenes quantitatives Lockerungsprogramm aufgelegt, in China ist die Geldmenge gestiegen und die Europäische Zentralbank (EZB) hat unlängst einen
neuen Schwung Anreize angekündigt. Zu beachten ist ferner, dass die Fed ihre Politik bislang noch nicht drastisch verschärft hat, um einer Überhitzung der Konjunktur entgegenzuwirken. Ganz im
Gegenteil, die US-Wirtschaft scheint im Zuge der allmählichen Einstellung außergewöhnlicher politischer Maßnahmen der letzten Jahre erst nach und nach ohne Lebenserhaltungsmaßnahmen auszukommen.
Viele US-Anleger waren (und sind) unseren Analysen zufolge in Schwellenländern untergewichtet. Wir beobachten jedoch in letzter Zeit steigendes Interesse. Wir nehmen an, dass die Begeisterung für
die Erholung des US-Markts von der Finanzkrise 2007/2008 viele Anleger veranlasst hat, ihr Geld dort zu investieren und es auch dort zu lassen. Inzwischen erkennen wir Interesse an der Streuung
mancher dieser Anlagen auf andere Märkte. Eine ähnliche Dynamik vollzieht sich offenbar auch bei den Anlegern in Europa. Auf der jüngsten Sieben-Länder-Tour durch Europa habe ich zu meiner Freude
wachsendes Interesse an Schwellenmärkten wahrgenommen. Offenbar diversifizieren die Anleger ihr Kapital wieder stärker.
Die Erfahrung Indonesiens verdeutlicht das zunehmende Interesse von Anlegern weltweit. Nach einem Einbruch von Aktien und Rupiah im letzten Jahr sind die Devisenreserven wieder über 100 Mrd.
US-Dollar gestiegen,[3] die Rupiah hat zugelegt und viele Aktien, die 2013 rege abverkauft wurden, haben in diesem Jahr bislang Gewinne verzeichnet.[4] Wir gehen davon aus, dass sich viele
Schwellenmärkte im zweiten Halbjahr 2014 weiterhin so positiv entwickeln könnten.
Brasilien: Auf Kurs zu Wirtschaftswachstum – und politischen Veränderungen?
Es wurden viele Rechnungen angestellt zu den Auswirkungen wichtiger Sportereignisse auf die Wirtschaft und den Markt des Landes. Brasiliens amtierende Regierung wird kritisiert, weil sie mit vollen
Händen Geld für die Fußball-WM und die olympischen Spiele 2016 ausgibt. Keine Frage, Brasilien braucht eine bessere Infrastruktur. Diskutiert wird jedoch darum, ob die Mittel aus den richtigen
Gründen an der richtigen Stelle ausgegeben werden, und ob die Wirtschaft am Ende davon profitiert.
Zu berücksichtigen ist dabei vor allem, dass internationale Sportveranstaltungen einem Land zwar nicht unbedingt den vielfach erhofften Wachstumskick bringen, den Menschen aber Gelegenheit geben
können, aller Welt ihre Unzufriedenheit mit ihrer Regierung vor Augen zu führen. Das haben wir in Brasilien beobachtet. Prognosen zu wirtschaftlichen Katastrophen oder chaotischen Zuständen bei WM
oder Olympia halte ich für überzogen.
Brasiliens Erfahrung als Gastgeberland hochkarätiger Sportereignisse könnte letztlich beispielhaft dafür werden, wie beschleunigter Wandel stattfinden kann, wenn sich die Menschen mehr Gehör
verschaffen. Eine wichtige Rolle hat dabei die rasante Entwicklung des Internets und vor allem der Handys und Smartphones gespielt. Wie sich der Frust der Menschen bei der brasilianische
Parlamentswahl im Oktober an den Urnen niederschlägt, bleibt abzuwarten. Wir werden das aufmerksam verfolgen. Dass sich brasilianische Aktien umkehrt proportional zur Popularität von Präsidentin
Rousseff entwickeln, zeigt unseres Erachtens, wie populistische staatliche Eingriffe in die Märkte dem Wachstum schaden können. Gewinnt die Oppositionspartei die nächsten Wahlen, könnte sich
dadurch vieles zum Besseren wenden, vor allem bei der verstärkten Förderung des privaten Unternehmertums. Doch selbst wenn die derzeitige Regierung im Amt bleibt, fordern die Menschen
Veränderungen, die wir daher meiner Ansicht nach so oder so erleben könnten.
In Schwellenländern steht eine Reihe wichtiger Wahlen an, die Umwälzungen auslösen könnten. In Indien hat Narendra Modis Erdrutschsieg in kurzer Zeit gezeigt, wie rasch Stimmung und Aktienkurse
umschlagen können. Für Reformen sind die Aussichten auf vielen Schwellenmärkten nach unserer Überzeugung so gut wie seit Jahren nicht. Chinas Regierung unter Präsident Xi hat ihre Absicht
signalisiert, umfassende Reformen in Angriff zu nehmen, und in Indonesien hat der Spitzenkandidat fürs Präsidentenamt Joko Widodo ehrgeizige Pläne zur Kürzung von Subventionen und zur
Investitionsförderung angekündigt. Das sind nur wenige Beispiele.
Aus Investmentperspektive hat der Einsatz von Smartphones weltweit enorme Wirkung gezeigt und nicht nur das politische Klima verändert, sondern auch das Konsumverhalten. Online-Shopping, -Banking
und -Zahlungssysteme stehen inzwischen Menschen auf Märkten zur Verfügung, die noch vor wenigen Jahren fast keine Möglichkeit zur schnellen und breiten Kommunikation hatten. Das Internet hat in
unseren Augen einfach unglaubliche Effekte. Wir entdecken in Schwellenländern Blogger, die über Produkte schreiben, Facebook-Gemeinschaften, deren Mitglieder untereinander Dinge kaufen und
verkaufen, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Die sprunghafte technische Entwicklung hat meines Erachtens das Potenzial, das Wachstum in vielen Ländern anzuheizen, die dafür im Grunde keine
Umstrukturierungskosten tragen, ja, nicht einmal Gebäude, „analoge“ Geschäfte und Bankfilialen errichten müssen. Unternehmen können heute Menschen an entlegenen Orten erreichen wie nie zuvor. Das
ist aufregend, bedeutet aber nicht automatisch, dass wir uns ausschließlich auf den Konsumsektor ausrichten, in dem die Bewertungen im Vergleich zu anderen Sektoren möglicherweise höher sind. Wir
verfolgen einen uneingeschränkten Ansatz, indem wir keine Entscheidungen treffen, die sich nach einer bestimmten Benchmark richten, und können uns beispielsweise auch indirekt über Aktien von
Banken mit starkem Mikrokreditgeschäft oder über den Industriesektor im Transportwesen engagieren.
Argumente für aktives Management
Wir sind wertorientierte Bottom-up-Manager. Deshalb sind uns die fundamentalen Voraussetzungen einzelner Aktien am wichtigsten, nicht makroökonomische Top-down-Überlegungen. Unsere
Portfolioallokationen auf Länder und Sektoren ergeben sich aus der Einzeltitelauswahl. Dementsprechend entdecken wir weltweit attraktive Anlagen, auch in Ländern, in denen negative Nachrichten
Chancen bei Aktien überschatten können. Aus globaler Perspektive erkennen wir manche der aussichtsreichsten Chancen auf Grenzmärkten. Diese sind im Grunde als nächste Generation von
Schwellenländern zu betrachten und umfassen Länder wie Nigeria, Saudi-Arabien und Vietnam, die kräftiges Wachstum verzeichnen.
Natürlich ist hohes Wachstum in einem Land nicht gleichbedeutend mit hohem Wachstum der Unternehmen in diesem Land. Zugegeben, in einem Land mit hohen Wachstumsraten gibt es bessere
Entwicklungschancen für solide Unternehmen als in einem wachstumsschwachen Land, doch das hängt unter anderem auch vom Wettbewerb und von vielen weiteren Faktoren ab.
Unserer Ansicht nach gehören zu den positiven Trends, die wir auf Schwellenmärkten im Vergleich zu Industrieländern feststellen, unter anderem höhere Wachstumsraten, niedrigere Verschuldung und
größere Devisenreserven. Das alles sorgt für potenziell günstige gesamtwirtschaftliche Rahmenbedingungen, die noch ergänzt werden durch einen Konsum-Boom.
Dennoch dürften wir 2014 und darüber hinaus auch weiterhin mit kurzfristiger Volatilität zu tun haben. In manchen Fällen werden Regierungen leider mit verstärkten repressiven Maßnahmen reagieren.
Aus manchen Ländern wird es schlechte Nachrichten geben, und manche Unternehmen werden scheitern. Darauf müssen wir uns als Investoren einstellen – und handlungsbereit sein, wenn sich Chancen
auftun.
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[1] Quelle: MSCI. Abgebildet von MSCI Emerging Markets Index, MSCI Developed Markets Index und MSCI All-Country World Index. MSCI gibt keine ausdrücklichen oder stillschweigenden Gewährleistungen
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[2] Ebenda.
[3] Quelle: IWF, Stand April 2014. © International Monetary Fund, alle Rechte vorbehalten.
[4] Quelle: Bloomberg LP. Der Jakarta Stock Exchange Composite Index lag 2014 bis einschließlich 23. Juni mit 15% im Plus.