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    Austerität vs. Konjunkturprogramm  4215  1 Kommentar Glaubenskrieg der Ökonomen - Wer hat Recht im Grexit-Streit?

    Über Griechenland wird nicht nur auf Krisengipfeln, in Verhandlungsrunden, Talk-Shows und beim Stammtisch gestritten. Auch im Elfenbeinturm der Ökonomen ist ein heftiger Streit über den Umgang mit der griechischen Schuldenkrise entbrannt. Deutlicher denn je zeigen sich die tiefen ideologischen Gräben der verschiedenen Denkschulen. Welches Lager Recht hat? Eine Glaubensfrage.

    Austerität, so scheint es, hat sich in der ökonomische Debatte innerhalb weniger Jahre vom Wort zum Unwort entwickelt. Galt eine eiserne Sparpolitik Vielen zu Beginn der Euro-Krise noch als goldener Weg aus der Krise, sehen heute nicht Wenige in ihr die Ursache für das noch immer taumelnde Europa. Diese Entwicklung als zeitliche Abfolge darzustellen, greift jedoch zu kurz. Die Meinung über Austerität hat sich nicht verändert, sondern allenfalls der in der öffentlichen Debatte vorherrschende Diskurs (Lesen Sie hierzu: Schluss mit der neoklassischen Monokultur). Tatsächlich beharren die ideologischen Lager der Ökonomen nach wie vor auf ihre Sichtweise. Für die eher keynesianisch geprägten Experten ist und bleibt die Austerität ein Brandbeschleuniger, die eher (ordo-/neo-)liberalen Experten werden in ihr immer den Brandlöscher sehen. Diese beiden Denkweisen zu vereinen, gleicht dem berühmten Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln. Und es erklärt, weshalb eine Einigung im griechischen Drama so schwierig ist. Denn nirgendwo sonst prallen die beiden Sichtweisen gerade so frontal aufeinander wie im Schuldenstreit.

    Top-Ökonomen appellieren: Weniger Austerität, mehr Menschlichkeit

    In der „Financial Times“ fordern 26 Top-Ökonomen unter dem Titel „In der letzten Stunde, ein Plädoyer für Vernunft und Menschlichkeit“ ein Ende der Austerität. Das Spardiktat hätte zentrale Reformvorhaben der griechischen Regierung untergraben, allen voran den Kampf gegen Steuerflucht und Korruption, weil es die Handlungsfähigkeit zu sehr einschränke (siehe hierzu auch: Varoufakis – Geldgeber verbieten Syriza den Kampf gegen Steuersünder). Aufgrund der ständigen Zugeständnisse, die die Geldgeber von der Regierung einforderten, laufe Syriza Gefahr, die politische Unterstützung zu verlieren und damit die Fähigkeit, Reformen umzusetzen, die Griechenland aus der Krise führen könnten. „Es ist falsch, von Griechenland zu verlangen, sich an ein altes Programm zu binden, das nachweislich gescheitert ist, das von den griechischen Wählern abgelehnt und von einer Vielzahl an Ökonomen von Beginn an als verfehlt erachtet wurde“, heißt es in dem offenen Brief, der unter anderem von Joseph Stiglitz, Thomas Piketty und auch vom deutschen Ökonom Gustav Horn unterzeichnet wurde. Ihrer Ansicht nach ist Syriza „die einzige Hoffnung“ auf Legitimität in Griechenland. Scheiterten die Verhandlungen, so würde das die Demokratie aushöhlen und Europa vor viel radikaler und dysfunktionalere Herausforderung stellen. Damit stehe nicht nur Griechenland oder die Euro-Zone auf dem Spiel, sondern das ganze europäische Projekt. Was Europa brauche sei ein Konjunkturprogramm, das nicht nur die wirtschaftlichen Folgen der Krise beseitige, sondern überdies den Menschen ihren europäischen Stolz zurückgebe. Passend dazu schließen sie mit den Worten: „Wie man Griechenland behandelt wird eine Botschaft an alle Mitglieder der Euro-Zone senden. So wie einst der Marshall-Plan, lass es Eine der Hoffnung und nicht der Verzweiflung sein.“

    Straubhaar: Weniger Vertragsbrüche, mehr Rechtstaatlichkeit

    Der Ökonom Thomas Straubhaar nennt den Brief seiner Kollegen einen „Aufruf zu einem weiteren Zerfall von Rechtstaatlichkeit“, der brandgefährlich für den Euro sei. Piketty und Co. hätten auf  „plumpe Art und Weise“ Werbung für eine politische Partei gemacht, schreibt er in seiner Kolumne für die „Welt“. Seiner Meinung nach habe die griechische Regierung „von Anfang an auf Konfrontation statt Kooperation“ gesetzt, inzwischen seien „selbst wohlgesonnene Fürsprecher“ enttäuscht von der „provokativen Verweigerungshaltung“, der „ungenügenden Qualität der Regierungsarbeit“ und der „ideologischen Verbohrtheit“. Dass Regellosigkeit und ein einseitiger Bruch mit Verträgen und Vereinbarungen zu nachhaltigem wirtschaftlichen Erfolg führe, widerspreche allen momentan bekannten wissenschaftlichen Erkenntnissen, poltert Straubhaar. Weil die Ökonomen in ihrem Brief jegliche wissenschaftlichen Belege für ihre Thesen schuldig blieben, sei „ihre Meinungsäußerung nicht mehr wert als die Einschätzung ökonomischer Laien“.

    Der Markt – Unsichtbare Hand oder Mittel zum Zweck?

    Die Argumentation beider Beiträge offenbart den grundlegenden Unterschied der Denkschulen: Für die Ökonomen der keynesianischen Tradition ist die Wirtschaft Mittel zum Zweck. Die Märkte sind dazu da, den Wohlstand der Menschen zu sichern. Ob ihm das gelingt, darüber wacht die Politik und stellt sicher, dass er seinen Zweck erfüllt. Aus dieser Überzeugung heraus ist es ok, im Zweifel die Regeln anzupassen. Beispielsweise, indem man der griechischen Regierung entgegenkommt.

    Das allerdings ist für Anhänger liberaler Strömungen tabu. Der Markt ist hier nicht bloß ein Instrument der Politik, vielmehr ist die Politik dem Markt untergeordnet. Ihre Aufgabe ist es, die Regeln so zu gestalten, dass die unsichtbare Hand des Marktes frei wirken kann. Darüber hinaus haben sich die Politiker tunlichst aus den Geschicken der Wirtschaft herauszuhalten, weil der Markt sich am besten selbst regelt und auf diese Weise Wohlstand für alle generiert. Das ist der Grund, weshalb Rechtstaatlichkeit und das Einhalten von Verträgen für Ökonomen dieser Denkschulen so wichtig sind. Und weshalb es keinesfalls ok ist, die Regeln anzupassen, um der griechischen Regierung entgegenzukommen.



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