Flüchtlingskrise
Mindestlohn für Flüchtlinge - Problem oder Selbstverständlichkeit?
Noch gehen die Rufe inmitten der Flüchtlingskrise unter, doch sie werden lauter. Immer mehr Experten fordern mehr oder weniger offen, den Mindestlohn für Flüchtlinge aufzuweichen.
Die Flüchtlingskrise ist ein ebenso heißes wie emotionales Thema. Deutschlands Top-Ökonomen hielten sich deshalb lange Zeit bedeckt, keiner wollte sich am heißen Eisen die Finger verbrennen. Wie so oft war es schließlich ifo-Präsident Hans-Werner Sinn, der sich als einer der ersten aus der Deckung wagte. Und seine Thesen sorgten prompt für Aufregung.
„Um die neuen Arbeitskräfte in den regulären Arbeitsmarkt zu integrieren, wird man den gesetzlichen Mindestlohn senken müssen“, schrieb Sinn in einem Gastbeitrag für die „WirtschaftsWoche“. Der Arbeitsmarkt benötige eine gewisse Flexibilität, um „Hemmnisse für die Eingliederung der Asylsuchenden in den Arbeitsmarkt abzubauen.“ Der ifo-Präsident stellt uns damit quasi vor die Wahl: Mindestlohn oder Flüchtlinge – Beides geht nicht!
„Mindestlohn könnte ein Problem werden“
Der Artikel schlug bei wallstreet:online hohe Wellen und wurde kontrovers diskutiert. Inzwischen zeigt sich: Sinn ist bei Weitem nicht der einzige Top-Ökonom, der den Mindestlohn aufgrund der Flüchtlingskrise in Frage stellt.
„Die 8,50 Euro könnten für ungelernte Migranten ein Problem werden“, sagt nun auch Christoph M. Schmidt, Vorsitzender der fünf Wirtschaftsweisen. Bei einem Streitgespräch der Bertelsmann-Stiftung, über das die „WirtschaftsWoche“ berichtet, warnte Schmidt vor einem drohenden Konflikt zwischen der Integration der Flüchtlinge auf der einen und dem Mindestlohn auf der anderen Seite.
Widerspruch kam von seinem prominenten Mitdiskutanten: Joseph Stiglitz. Der US-Ökonom hält den Mindestlohn für machbar – auch für Flüchtlinge. Von einer Ausnahme oder gar der kompletten Abschaffung der Lohnuntergrenze will er nichts wissen. „Gesellschaften wie Deutschland oder die USA müssen sich einen Mindestlohn in dieser Höhe leisten können“, so Stiglitz.
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Auch in der Politik rumort es
Doch auch in der Politik regt sich Widerstand gegen den Mindestlohn. Die Flüchtlingskrise dient dabei als willkommener Anlass, die ohnehin unliebsame Untergrenze ins Abseits zu drängen. So forderte beispielsweise Werner Michael Bahlsen, Präsident des CDU-Wirtschaftsrats, über Mindestlohn-Ausnahmen für Flüchtlinge nachzudenken. Die Bundesregierung solle „überlegen, ob es nicht für Flüchtlinge zeitlich befristete Ausnahmen vom Mindestlohn geben sollte, um ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern“, so Bahlsen gegenüber der „Welt“. Zuvor hatte bereits der Landkreistag dafür plädiert, dass Asylbewerber vorübergehend vom Mindestlohn ausgenommen werden.
Bei Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) stoßen solche Forderungen (zumindest noch) auf taube Ohren. Stattdessen verteidigte sie den Mindestlohn als Schutz gegen Ausbeutung auf dem deutschen Arbeitsmarkt. „Mit diesen Haltelinien dämmen wir auch Risiken ein, dass Flüchtlinge, die zu uns kommen, auf unserem Arbeitsmarkt ausgebeutet werden“, sagte Nahles am Dienstag in Berlin (siehe hier).
McDonald’s liest der Branche die Leviten
Unterschiedliche Töne auch aus der Wirtschaft. Auf der einen Seite werden die Rufe nach Ausnahmen für Flüchtlinge auch hier lauter. Einer der Befürworter ist Peter Kulitz, Präsident des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertags, der ebenfalls für eine Aufweichung des Mindestlohns plädiert. Gleichzeitig aber setzte ausgerechnet ein Unternehmen ein Zeichen für Flüchtlinge, das im Allgemeinen nicht gerade für üppige Gehälter bekannt ist. Die Rede ist von McDonald’s. Wolfgang Goebel, Personalvorstand von McDonald’s, las seinen Kollegen in der „Zeit“ gehörig die Leviten: „Wir können nicht auf der einen Seite sagen, es kommt auf die Leistung an und Herkunft spielt keine Rolle, und auf der anderen Seite bei den Löhnen differenzieren,“ so Groebel. „Jedes Unternehmen muss ein Geschäftsmodell entwickeln, das es ermöglicht, faire Löhne zu bezahlen. Wer dazu nicht in der Lage ist, hat vielleicht ein Problem mit seinem Geschäftsmodell.“
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