Mittelbayerische Zeitung
Leitartikel zu VW: Goliath gegen Goliath von Christine Hochreiter
Regensburg (ots) - Der Streit wirkt wie ein Kampf David gegen
Goliath. Zwei kleine Zulieferer versuchen beherzt, einen Weltkonzern
in die Knie zu zwingen. Sie beschuldigen Volkswagen, Verträge zu
Unrecht gekündigt und Entschädigungszahlungen verweigert zu haben.
Ihre scharfe Waffe: ein Lieferstopp für Getriebeteile und Sitzbezüge,
die im Zeitalter von Just-in-time dringend für die Produktion von
Golf- und Passat-Modellen benötigt werden. Aus dem Umfeld der
Prevent-Gruppe hieß es, dies sei das letzte Mittel gegen "Ausbeutung
und Machtmissbrauch". Auch wenn man sich in der Sache geeinigt hat,
kommt die Auseinandersetzung die Wolfsburger teuer zu stehen - nicht
nur finanziell, sondern auch ideell. Sie ist ein weiteres Puzzlestück
in der Dauerkrise von Volkswagen. Die Botschaft: Bei diesem
Management läuft gerade ziemlich viel schief. Mit einem
Einkaufsvolumen von rund 149 Milliarden Euro im vergangenen Jahr ist
VW der größte Kunde der Automobilzulieferer. Die Wolfsburger haben
den Ruf, knallhart zu verhandeln. Der frühere Einkaufschef José
Ignacio Lopez hatte schon in den 90er Jahren die Zulieferer das
Fürchten gelehrt. Francisco Garcia Sanz, der aktuelle Chefeinkäufer
bei VW, hat den Spar- und Kostendruck weiter erhöht - nicht zuletzt
auch mit Blick auf die Ausgaben im Gefolge des Diesel-Skandals. Zwar
hätten auch BMW und Daimler die Zügel angezogen, hört man aus der
Branche, aber mit VW seien die Verhandlungen mit Abstand am
heftigsten. Strotzend vor Selbstbewusstsein scheint sich die
Einkaufsabteilung auf die Marktmacht des Konzerns verlassen zu haben
- eine Fehleinschätzung mit Folgen. In jedem Fall wurde ein
ungeschriebenes Branchen-Gesetz außer Acht gelassen. Es lautet:
Verlasse dich als Hersteller niemals auf einen einzigen Zulieferer.
Diese Grundregel des Wirtschaftens wurde in Wolfsburg schlichtweg
ignoriert. Darüber hinaus hat sich VW auch noch einem vom
Firmenkonstrukt her äußerst eigenwilligen Geschäftspartner
ausgeliefert. Die Rolle der Automobilzulieferer hat sich stark
gewandelt. Sie sind schon seit Ewigkeiten nicht mehr nur für die
Teile zuständig, die die Industrie bei ihnen in Auftrag gegeben hat.
Die ganz Großen wie Bosch, Continental oder die Zahnradfabrik
Friedrichshafen haben inzwischen auch einen Löwenanteil der
Forschungs- und Entwicklungsaufgaben übernommen. Sie sind zu
Spezialisten für Mobilität geworden, und damit auch zu Treibern der
automobilen Innovation. Dies gilt nicht zuletzt mit Blick auf
Mega-Themen wie die Digitalisierung und Vernetzung der Fahrzeuge
sowie das autonome Fahren. Der böse Konzern und der gute Zulieferer
also? Endlich einer, der sich traut gegen übermächtige Hersteller,
ihr Preisdiktat und die wachsende Verantwortung aufzubegehren? Mit
vorschnellem Applaus für eine solche Einschätzung würde man es sich
zu leicht machen. Dennoch dürfte der Fall VW/Prevent die Diskussionen
neu ankurbeln. Es geht um die Rolle der Zulieferer - heute, morgen
und übermorgen. Unternehmen, die mit echten Innovationen punkten
können, tun sich in dem rauen Umfeld zweifelsohne leichter als
Lieferanten, die relativ austauschbar sind. Fakt ist auch:
Vermeintliche Zwerge, die nach außen hin zwar selbstständig
auftreten, aber in einem verschachtelten Geflecht von Unternehmungen
zusammengefasst sind, können einen enormen Druck ausüben. Solche
Gebilde haben Investmentbanker im Rücken, die mit international
agierenden Anwaltskanzleien zusammenarbeiten. In der neuen Autowelt
reicht es nicht, mit mehr als einem Akteur zusammenzuarbeiten, denn
oft steht Goliath gegen Goliath.
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Goliath. Zwei kleine Zulieferer versuchen beherzt, einen Weltkonzern
in die Knie zu zwingen. Sie beschuldigen Volkswagen, Verträge zu
Unrecht gekündigt und Entschädigungszahlungen verweigert zu haben.
Ihre scharfe Waffe: ein Lieferstopp für Getriebeteile und Sitzbezüge,
die im Zeitalter von Just-in-time dringend für die Produktion von
Golf- und Passat-Modellen benötigt werden. Aus dem Umfeld der
Prevent-Gruppe hieß es, dies sei das letzte Mittel gegen "Ausbeutung
und Machtmissbrauch". Auch wenn man sich in der Sache geeinigt hat,
kommt die Auseinandersetzung die Wolfsburger teuer zu stehen - nicht
nur finanziell, sondern auch ideell. Sie ist ein weiteres Puzzlestück
in der Dauerkrise von Volkswagen. Die Botschaft: Bei diesem
Management läuft gerade ziemlich viel schief. Mit einem
Einkaufsvolumen von rund 149 Milliarden Euro im vergangenen Jahr ist
VW der größte Kunde der Automobilzulieferer. Die Wolfsburger haben
den Ruf, knallhart zu verhandeln. Der frühere Einkaufschef José
Ignacio Lopez hatte schon in den 90er Jahren die Zulieferer das
Fürchten gelehrt. Francisco Garcia Sanz, der aktuelle Chefeinkäufer
bei VW, hat den Spar- und Kostendruck weiter erhöht - nicht zuletzt
auch mit Blick auf die Ausgaben im Gefolge des Diesel-Skandals. Zwar
hätten auch BMW und Daimler die Zügel angezogen, hört man aus der
Branche, aber mit VW seien die Verhandlungen mit Abstand am
heftigsten. Strotzend vor Selbstbewusstsein scheint sich die
Einkaufsabteilung auf die Marktmacht des Konzerns verlassen zu haben
- eine Fehleinschätzung mit Folgen. In jedem Fall wurde ein
ungeschriebenes Branchen-Gesetz außer Acht gelassen. Es lautet:
Verlasse dich als Hersteller niemals auf einen einzigen Zulieferer.
Diese Grundregel des Wirtschaftens wurde in Wolfsburg schlichtweg
ignoriert. Darüber hinaus hat sich VW auch noch einem vom
Firmenkonstrukt her äußerst eigenwilligen Geschäftspartner
ausgeliefert. Die Rolle der Automobilzulieferer hat sich stark
gewandelt. Sie sind schon seit Ewigkeiten nicht mehr nur für die
Teile zuständig, die die Industrie bei ihnen in Auftrag gegeben hat.
Die ganz Großen wie Bosch, Continental oder die Zahnradfabrik
Friedrichshafen haben inzwischen auch einen Löwenanteil der
Forschungs- und Entwicklungsaufgaben übernommen. Sie sind zu
Spezialisten für Mobilität geworden, und damit auch zu Treibern der
automobilen Innovation. Dies gilt nicht zuletzt mit Blick auf
Mega-Themen wie die Digitalisierung und Vernetzung der Fahrzeuge
sowie das autonome Fahren. Der böse Konzern und der gute Zulieferer
also? Endlich einer, der sich traut gegen übermächtige Hersteller,
ihr Preisdiktat und die wachsende Verantwortung aufzubegehren? Mit
vorschnellem Applaus für eine solche Einschätzung würde man es sich
zu leicht machen. Dennoch dürfte der Fall VW/Prevent die Diskussionen
neu ankurbeln. Es geht um die Rolle der Zulieferer - heute, morgen
und übermorgen. Unternehmen, die mit echten Innovationen punkten
können, tun sich in dem rauen Umfeld zweifelsohne leichter als
Lieferanten, die relativ austauschbar sind. Fakt ist auch:
Vermeintliche Zwerge, die nach außen hin zwar selbstständig
auftreten, aber in einem verschachtelten Geflecht von Unternehmungen
zusammengefasst sind, können einen enormen Druck ausüben. Solche
Gebilde haben Investmentbanker im Rücken, die mit international
agierenden Anwaltskanzleien zusammenarbeiten. In der neuen Autowelt
reicht es nicht, mit mehr als einem Akteur zusammenzuarbeiten, denn
oft steht Goliath gegen Goliath.
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