Chancen und Risiken für die Jahresend-Rallye - Seite 2
Ist dieser „tollkühne“ wirtschaftspolitische Plan wirklich ernst gemeint oder dient er eher als Drohgebärde Richtung Brüssel, den Briten bei den Austrittsverhandlungen großzügig entgegenzukommen? Sicherlich spekuliert London darauf, dass die EU – auch nach den anstehenden Wahlen – keine geschlossene politische Phalanx mehr gegenüber Großbritannien bildet und damit für britische Interessen „offener“ ist. Als früher führende Kolonialmacht und mit der Erfahrung als langjähriger EU-Spaltpilz hat Großbritannien ein sehr sensitives Gespür für die in vielen Ländern vorhandene Skepsis gegenüber EU bzw. Eurozone. London wird versuchen, diese offenen Wunden für sich zu nutzen.
Grundsätzlich sollte man jedoch die britische Regierung auch in puncto Umbau der Volkswirtschaft nicht unterschätzen. Der Status als rein finanzwirtschaftliche Volkswirtschaft ist vielen schon lange ein Dorn im Auge. Zukünftig will man auch auf einem industriellen, stärker außenwirtschaftlichen Bein stehen. In diesem Zusammenhang wird aufmerksam registriert, dass von dem derzeit schwachen wettbewerbsfähigen Pfund die im FTSE 100 gelisteten Unternehmen bereits export- und damit auch aktienseitig profitieren.
Auch du, mein Sohn (Brutus) Mario?
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Vor dem Hintergrund dieser (wirtschafts-)politischen Risiken konnten die Notenbanken und auch die EZB die Wogen an den Finanzmärkten bislang immer noch glätten. Doch jetzt sorgen Gerüchte, die EZB könnte ihre geldpolitische Vollversorgung bald überdenken für Anlegerverunsicherung. Konkret geht es um die theoretische Drosselung von Anleiheaufkäufe um monatlich 10 Mrd. Euro. Sicherlich ist sich die EZB darüber im Klaren, dass ihre dramatische Liquiditätsversorgung und Niedrigzinspolitik zum Zweck der Konjunkturstimulierung unangenehme Nebenwirkungen hat. Die in der Eurozone mehrheitlich auf Zinsvermögen basierende Altersvorsorge ist gefährdet. Und auch den Banken ist ihr Basisertragsmodell „Zinsgeschäft“, das früher stabile Gewinnpuffer gegen Risiken aller Art lieferte, weggebrochen. Betroffen ist von den Niedrigzinsen auch das Anlagegeschäft von Versicherungen und allgemein die Pensionsrückstellungen von Unternehmen, die im Vergleich zu früher normalen Zinsverhältnissen deutlich weniger abdiskontiert werden und damit höher bestückt werden müssen.