Rekordtief und Strafzinsen
EZB senkt Leitzins auf 0,15 Prozent – Strafgebühren für Banken
Die Entscheidung wurde mit Hochspannung erwartet: Tut er es oder tut er es nicht? Der Chef der Europäischen Notenbank, Mario Draghi, hat den Leitzins von 0,25 Prozent auf ein neues historisches Tief von 0,15 Prozent gesenkt und erstmals auch Strafzinsen für Banken eingeführt.
Die erneute Zinssenkung im Kampf gegen niedrige Inflation und schwaches Wachstum wurde an den Märkten erwartet. "Vieles dürfte bereits eingepreist sein", bestätigte IG-Marktstratege Chris Weston im Vorfeld der Entscheidung der Nachrichtenagentur dpa-AFX. Dies zeigte sich auch an der Börse: Der deutsche Leitindex Dax hat seine Gewinne nach dem EZB-Zinsentscheid der leicht auf 0,47 Prozent auf 9973,68 Punkte ausgebaut. Für den Sprung über die Marke von 10.000 Punkte reichten die angekündigte Schritte allerdings nicht.
Die Katze ist nun aus dem Sack: Erstens wurde der Zinssatz auf 0,15 Prozent gesenkt. Zweitens müssen die Banken die ihr Geld bei der Notenbank parken anstatt es an Unternehmen zu verleihen, eine zusätzliche Gebühr von 0,1 Prozent entrichten - also einen Minuszins von 0,10 Prozent. Das Geldsystem wird auf den Kopf gestellt.
Die Geschäftsbanken im Euroraum können auf billige Kredite von bis zu 400 Milliarden Euro zurückgreifen - in Form von Targeted Longer-Term Refinancing Operations (TLTROs), die im September 2018 fällig werden. Volkswirt Ralf Umlauf von der Helaba erklärt gegenüber der Nachrichtenagentur dpa-AFX: "Draghi hält mit seinen Aussagen die Erwartungen am Leben, dass die EZB auch weiterhin handlungsbereit und -fähig bleibt, obwohl die EZB bezüglich der Zinspolitik wohl das Ende erreicht hat."
Die vor einigen Wochen in Umlauf gebrachte mögliche „Quantitative Lockerung“ durch einen massenhaften Anleihenkauf wurde vorerst in die Zukunft verschoben. Zudem könnte diese Maßnahme nicht durch das Mandat der EZB gedeckt sein.
Was bedeutet das für deutsche Sparer? Das Geld schwindet weiter: Sparer bekommen für ihr erspartes Geld auf Sparkonten aber auch auf Tagesgeld- und Festgeldkonten noch weniger
Zinsen. Aber es könnte ein weiteres böses Erwachen geben: Die Banken könnten die Kosten der Negativzinsen für ihre eigenen Einlagen bei der EZB an die Kunden abwälzen.
Niedrigzinsen, Deflationsrisiko, Liquidität und Altersvorsorge
Mit der Einführung des Euro konnten sich damals die südeuropäischen Länder billiges Geld ins Land holen. Die Länder lebten über ihre Verhältnisse und bauten den Schuldenberg weiter aus. Nun soll
wieder viel Liquidität in diese Länder fließen. „Was dies bedeutet, haben wir ja schon erlebt“, kritisiert Frank-Rüdiger Griep, Vorstand der Vermögensanlage Altbayern AG auf wallstreet:online. „Die Wettbewerbsfähigkeit verbessert sich nicht mehr und die Schulden wachsen weiter. Makroökonomisch ist das
keine schöne Situation - die Kapitalmärkte wird es jedoch erfreuen. Die Zinsen für Anlagen fallen weiter und die Anleger werden sich wohl oder übel weiter ins Risiko begeben und Aktien
kaufen.“
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"Das ist der verzweifelte Versuch, mit noch billigerem Geld und Strafzinsen auf Einlagen die Kapitalströme nach Südeuropa umzuleiten und dort die Wirtschaft anzukurbeln", sagte Ifo-Präsident
Hans-Werner Sinn. "Die Zeche zahlen jetzt alle jene, die Geld langfristig anlegen, also die Sparer und die Besitzer von Lebensversicherungen."
Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, hatte sich im Vorfeld des EZB- Zinsentscheids gegen eine weitere Zinssenkung in Europa ausgesprochen und forderte eine behutsame
Zinswende ab dem zweiten Halbjahr 2015. "Die ultraniedrigen Zinsen und die übermäßige Liquidität drohen zum Keim für neue Krisen zu werden", warnte Hüther gegenüber dpa-AFX. Die Jagd nach Rendite
könnte Investoren zu großen Risiken verleiten. Dies könne zu neuen Preisblasen führen, z.B. an den Aktien- oder Immobilienmärkten. Zudem mindern niedrige Zinsen den Reformdruck auf die
Krisenstaaten und behinderten einen konsequenten Schuldenabbau.
Auch der Präsident der Versicherungswirtschaft, Alexander Erdland, erklärte eine nochmalige Zinssenkung der EZB für unnötig, unbegründet und ungerecht: "Hier findet Geldvernichtung statt,“
sagte er der dpa-AFX. Sollte es bei den niedrigen Zinsen bleiben, hätten die Sparer im Alter deutlich weniger Geld zur Verfügung.
Der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Marcel Fratzscher betonte hingegen, dass deutsche Sparer sich noch längere Zeit auf niedrige Zinsen einstellen müssen. "Die Sparer
müssen daher nach alternativen Sparmöglichkeiten suchen, im Inland wie im Ausland", sagte er der "Berliner Zeitung“. Das Problem: "Die Niedrigzinspolitik trifft die Sparer hart, da sie schwerer
Vorsorge betreiben können", so der DIW-Chef weiter. Doch verteidigte er auch die Strategie der obersten Währungshüter: "Höhere Zinsen würden die noch immer niedrige Wirtschaftsleistung weiter
schwächen und noch mehr Menschen ihre Beschäftigung kosten."
Bankenverband kritisiert negativen Einlagenzins
„Ein negativer Zins auf die Einlagen der Geschäftsbanken bei der Europäischen Zentralbank (EZB) wird kaum zur gewünschten Belebung der Kreditvergabe und des Interbankenmarktes führen“, kritisiert
Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes, die heutige Zinsentscheidung der Europäischen Zentralbank. „An Liquidität zur Kreditvergabe mangelt es im Eurosystem nicht. Es sind eher
überschuldete Unternehmen bzw. hohe Kreditrisiken, die in den Peripherieländern eine Ausweitung der Kreditvergabe verhindern.“ Geldpolitisch befinde sich der Euro-Raum aber nach wie vor in einer
Ausnahmesituation: „Dies müssen wir immer wieder herausstellen. Investoren, Unternehmen, Konsumenten und der Staat dürfen sich nicht zu stark an das extrem billige Geld gewöhnen.“ Klar sei, dass
die Geldpolitik auf Dauer kein geeignetes Instrument sei, die Wettbewerbsfähigkeit einzelner Euro-Länder zu stärken. „Ein geldpolitischer Kurswechsel bleibt deshalb mittelfristig unausweichlich“,
so Kemmer.
Sparkassenverband: EZB begibt sich auf einen gefährlichen Weg
Mit ihren Zinsentscheidungen habe sich die Europäische Zentralbank nach Ansicht des Sparkassenverbandes auf einen "gefährlichen Weg" begeben. "Statt der erhofften Impulse für die Wirtschaft in den
Krisenländern werden durch die erneute Zinssenkung die Sparer in ganz Europa weiter verunsichert und Vermögenswerte zerstört", sagte der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes
(DSGV), Georg Fahrenschon. Auch würden die Maßnahmen die Finanzmärkte nicht stabiler machen: "im Gegenteil, das überreichliche Geld quillt schon jetzt aus allen Ritzen und sucht sich immer
riskantere Anlagemöglichkeiten".
Das Statement von Mario Draghi bei der EZB-Pressekonferenz:
Introductory statement to the press conference