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    Frei von Sinn und Verstand  3423  1 Kommentar Kanadier belächeln britisches Vorhaben, ein CETA-Abkommen mit der EU auszuhandeln

    Großbritannien streckt seine Fühler in verschiedene Richtungen aus, um trotz des Brexits auch weiterhin Zugang zum EU-Binnenmarkt zu haben. Neben einer EFTA-Mitgliedschaft erwägt die Regierung ein CETA-ähnliches Abkommen. Dumme Idee, finden die Kanadier.

    Für die Briten zeichnet sich schon jetzt ein kaum zu bewältigender Spießrutenlauf ab, wenn es darum geht, die zukünftigen Wirtschaftsverhältnisse mit der EU zu klären. So erteilte die norwegische Europaministerin Elizabeth Vik Aspaker dem Königreich jüngst eine indirekte Abfuhr, als Überlegungen vonseiten der Briten über eine EFTA-Mitgliedschaft laut wurden. In der Europäischen Freihandelszone wird auf Zölle und Handelsschranken - aber gleichsam auch auf die gemeinsame europäische Außen-, Agrar- und Integrationspolitik verzichtet. 

    Ein gesondertes Handelsabkommen nach CETA-Art stellt für viele den idealen Plan B dar. So schwärmte der neue Brexit-Minister David Davis im Juli vom Comprehensive Economic and Trade Agreement als "perfekten Ausgangspunkt für unsere Diskusssionen mit der Kommission." Und schon vor dem britischen Referendum waren die Kanadier für den EU-Gegner Boris Johnson das Maß aller Dinge. Mit Verweis auf deren Verhältnis zu Europa frohlockte er: "Ich sehe da eine sehr sehr strahlende Zukunft für uns."

    CETA ist "kein Patentrezept"

    Nach Ansicht einiger kanadischer CETA-Verhandlungsführer dürfte aber auch diese Idee früher oder später im Sande verlaufen. Weder seien beide Länder in ihrem Verhältnis zur EU miteinander vergleichbar, noch würde das Ergebnis den Briten einen echten wirtschaftlichen Mehrwert verschaffen. Von der unvorstellbaren Komplexität solch eines Abkommens einmal ganz zu schweigen. 

    "Wie sie allen Ernstes glauben, dass CETA ein echtes Patentrezept darstellt, ist mir nach wie vor ein Rätsel", sagte ein ranghohes kanadisches Regierungsmitglied, welches tief in die CETA-Verhandlungen verwickelt war, dem "Guardian". "Wir haben noch immer keinen derartig vollständigen Zugang zum europäischen Binnenmarkt, wie ihn die Briten als EU-Mitglied genießen. Diese Ausrichtung am CETA-Modell als Antwort auf den Brexit verstehe ich also nicht, denn sie würde das Königreich in seiner Handelsbeziehung zur Union um 43 Jahre zurückwerfen." 

    Zwar beinhaltet das Abkommen einen zollfreien Warenverkehr für rund 98,6 Prozent aller gehandelten Güter, doch hat Kanada nach den Regelungen weder Einfluss auf die europäische Gesetzgebung noch auf die Festlegung von Produktstandards. Dazu sind besonders sensible landwirtschaftliche Güter, wie Eier oder Geflügel von der Aufhebung der Zölle ausgeschlossen, auch bei den Dienstleistungen gibt es hunderte von Ausnahmen. Das sogenannte Banking Passport System, welches es rechtmäßig in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Finanzdienstleistern ermöglicht, in den übrigen Mitgliedstaaten ihre Dienste anzubieten, ohne zuvor eine Genehmigung einholen zu müssen, ist ebenso wenig Bestandteil von CETA. 

    Ein "törichter Vergleich"

    Das alles juckt die Kanadier selbst herzlich wenig, macht deren Anteil am grenzüberschreitenden Handel mit der EU doch gerade mal zehn Prozent aus. Für Großbritannien dürften sich diese Einschränkungen indes als viel größere Hürde heraustellen. Denn die Union ist des Königreichs wichtigster Handelspartner, im Jahr 2014 gingen 45 Prozent aller Exporte an den Kontinent, während 53 Prozent aller Importe von dort stammten. 

    "Es ist töricht zu glauben, dass sich das kanadische Verhältnis zur EU mit dem der Briten zum Wirtschaftsblock vergleichen ließe", schrieb der ehemalige Handelsminister Kanadas, Pierre Pettigrew laut "Guardian" im März dieses Jahres. "Tatsächlich würden wir auf eine viel tiefere Beziehung zu EU pochen, wenn wir mit ihr genauso viel Handel betreiben würden, wie mit den USA." Mit 60 Prozent des gesamten internationalen Güterverkehrs sind die Amerikaner der größte Handelspartner für Kanada. 

    Zu lange, zu konfliktbehaftet

    Für Pettigrew würde ein britisches CETA-Abkommen zusätzlich mit enormen Zeitproblemen einhergehen. So haben die Verhandlungen der Kanadier mit der EU bereits sieben Jahre gedauert, doch weil sie vornehmlich Handel mit der größten Wirtschaftsmacht der Welt betreiben, war dabei auch keine allzu große Eile geboten. Anders würde es da wiederum bei Großbritannien aussehen. Bis ausreichend brauchbare Kompromisse zu den wirtschaftlichen Verhältnissen gefunden sind, dürften in diesem Fall bis zu zehn Jahre ins Land gehen. 

    Letztlich würde diese Art von Freihandelsabkommen auch aufgrund ihrer vielseits umstrittenen Passagen zur rechtlichen Durchsetzungskraft von Konzernen kompliziert werden. Denn wo sich die Leave-Befürworter mit dem Brexit "ihr Land zurück erkämpft" und damit augenscheinlich neue Souveränität gewonnen haben, würde ein CETA-Deal abermals mit einer gewissen Abhängigkeit von europäischen Unternehmen einhergehen. Diese haben nämlich das Recht, Regierungen zu verklagen, sollten sie sich durch deren Vergabeverfahren benachteiligt fühlen. 

    "Das ist eine echte Gefahr", sagte der deutsch-kanadische Wirtschaftsprofessor, Andreas Schotter, von der Western University's Ivey School of Business in Ontario, gegenüber der Zeitung. "Keiner will dort, dass deutsche Unternehmen plötzlich anfangen, die britische Regierung zu verklagen, weil ihnen der Zugang zu bestimmten Marktbereichen verwehrt wird oder weil sie keine Anreize oder Hilfestellungen erhalten." 





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