EU-Austritt
Brexit - Das Aus für den Finanzplatz London?
EU-Austritt ja oder nein? Darüber sollen die Briten demnächst per Referendum abstimmen. Das sorgt für großen Wirbel in der Londoner Finanzwelt. Banker schlagen Alarm - und packen für den Fall eines Brexits schon einmal die Koffer.
Großbritannien liebäugelt nicht erst seit gestern mit einem möglichen Austritt aus der EU. Doch spätestens bis Ende 2017 könnte aus den Gedankenspielen Ernst werden. Bis dahin soll nach Willen des Premierministers David Cameron nämlich ein Referendum stattgefunden haben, indem die Briten selbst über den Verbleib in der Europäischen Union entscheiden können.
Am Finanzstandort London sorgt dieses Vorhaben für enormen Wirbel. Wie die „Welt“ berichtet, bereite der Branche die Gefahr, dass Großbritannien der europäischen Staatengemeinschaft den Rücken kehren könnte, große Sorgen. Manche Finanzinstitute planen daher bereits jetzt für den Ernstfall und ziehen gar erste Konsequenzen aus dem drohenden „Brexit“, wie der Austritt Großbritanniens genannt wird.
Medienberichten zufolge sollen US-Banken, darunter Morgan Stanley, die Citigroup sowie die Bank of America, den Abzug ihrer europäischen Hauptquartiere aus London vorbereiten. Auch wallstreet:online berichtete vom möglichen Exodus der Banker. Bedroht Brexit den Finanzplatz London?
Status als wichtigstes europäisches Finanzzentrum ist in Gefahr
Bislang gilt London als die unangefochtene Nummer eins in der europäischen Finanzwelt. Doch das könnte sich mit einem Austritt aus der EU schlagartig ändern. Denn obwohl Großbritannien den Euro als zweitwichtigste Währung der Welt nie eingeführt hat, so besteht für viele außereuropäischen Banken laut „Welt“ der Reiz des Londoner Finanzzentrums maßgeblich darin, neben dem dortigen Wertpapier- und Rohstoffhandel auch sämtliche Bankgeschäfte in der ganzen EU betreiben zu können. Insofern ist der Finanzsektor Großbritanniens besonders abhängig vom europäischen Binnenmarkt.
Kein Wunder also, dass sich ausgerechnet hier Widerstand gegen einen EU-Austritt formt. Ein solcher Schritt werde dem Londoner Finanzplatz erheblich schaden, warnt beispielsweise Michael Sherwood, Mitglied des Management-Komitees bei Goldman Sachs. „Wir möchten, dass Großbritannien in Europa bleibt“, wird Sherwood in der „Welt“ zitiert. „Ein EU-Ausstieg Großbritanniens würde zu einer gewissen Fragmentierung unseres Geschäfts führen. Das hätte definitiv Auswirkungen auf die City“. Bereits im vergangenen Jahr hatten bei einer Umfrage der Lobbygruppe TheCityUK 84 Prozent der befragten Führungskräfte für einen Verbleib des Landes in der EU ausgesprochen, berichtet die „Welt“.
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EU-Austritt schlimmer als Finanzkrise
In der Tat wären die Auswirkungen eines EU-Austritts dramatisch. Nach Berechnungen der London School of Economics würde ein Brexit die konjunkturelle Erholung des Landes aufs Spiel setzen, wie wallstreet:online unlängst berichtete. Auf lange Sicht könnte Großbritannien im schlimmsten Fall bis zu 10 Prozent der Wirtschaftsleistung einbüßen. Damit könnte ein Austritt die Briten sogar noch härter treffen als damals die Finanzkrise. Und trotzdem reißen die Forderungen nach einem Brexit nicht ab, zu groß scheint die Unzufriedenheit über die EU-Vorschriften sowie die Transferleistungen an Brüssel, wenngleich diese gerade einmal rund 0,5 Prozent des britischen Volkseinkommens ausmachen.
Emotion vs. Verstand
Doch so sehr sich Gegner eines EU-Austritts auch bemühen, den Menschen auf der Straße Vernunft einzuhauchen, die Idee des Brexits hält sich hartnäckig. Und sie wird mitunter unterstützt durch Studien wie die des britischen Diplomats Iain Mansfield. In seiner Studie „Offenheit statt Isolation“, für die er sogar den mit 100.000 Pfund dotierten Preis des Institute for Economic Affairs (IEA) gewann, argumentiert er für positive wirtschaftliche Folgen eines Brexit-Szenarios (wallstreet:online berichtete).
Allerdings täuscht die Debatte über wirtschaftliche Chancen und Risiken über etwas ganz Entscheidendes hinweg: nämlich dass die Frage -EU-Austritt ja oder nein - in erster Linie emotional behaftet ist. Ob Großbritannien in der EU bleiben soll oder nicht, diese Entscheidung werden viele wohl eher mit dem Herzen als dem Verstand treffen. Vor diesem Hintergrund könnten sich die Warnungen der Banker als Eigentor entpuppen. „Banker sind in der Öffentlichkeit allgemein so verhasst, dass wenn Banker sagen, wir sollten in der EU bleiben, das in der Öffentlichkeit die Auswirkung haben könnte, dass die Leute sagen, wir sollten ausstiegen“, prophezeit der EU-Abgeordnete Sharon Bowles in der „Welt“.
Dublin könnte das neue London werden
Viele Banken sitzen deshalb lieber schon einmal auf gepackten Koffern. Und wo soll die Reise hingehen? Nach Paris oder vielleicht doch nach Frankfurt am Main? Das würde die deutsche Finanzmetropole zwar sicherlich freuen, allerdings scheint es die Banken eher auf die grüne Insel zu ziehen. Viele Banker liebäugelten eher mit Irland, wo man auf ähnlich wirtschaftsfreundliche Steuergesetze und eine nicht zu harsche Finanzaufsicht hoffe, so, wie man es von London gewohnt sei, schreibt die „Welt“.