Für ein soziales Europa, das der jungen Generation wieder eine Zukunft gibt!
Rede von Sahra Wagenknecht in der Bundestagsdebatte am 22.01.2018 anlässlich des 55. Jahrestags der Unterzeichnung des Elyseevertrags.
Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE):
Sehr geehrter Herr Präsident de Rugy! Sehr geehrter Bundestagspräsident Schäuble! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir uns vor Augen führen, wie viele Kriege Deutschland und Frankreich gegeneinander geführt und wie viele Menschen auf den Schlachtfeldern dieser Kriege einen grausamen Tod gefunden haben, wenn wir an die furchtbaren Massaker an der französischen Zivilbevölkerung während der deutschen Besatzung denken - der Name Oradour steht bis heute für die Kriegsverbrechen der Wehrmacht und der SS an unschuldigen Zivilisten -, wenn wir all das bedenken, dann nötigt es uns umso größeren Respekt ab, dass weniger als zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges General de Gaulle dem deutschen Bundeskanzler Adenauer die Hand zur Versöhnung gereicht hat.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Er hat damit das Fundament für ein neues Europa gelegt, ein Europa frei von Nationalismus und Völkerhass.
Wenn wir jetzt aus Anlass des 55. Jahrestages des Élysée-Vertrags mit unseren französischen Kolleginnen und Kollegen gemeinsam tagen, dann müssen wir ehrlich Bilanz ziehen, wo wir heute stehen. Zehn Jahre vor der Unterzeichnung des Élysée-Vertrags hatte Thomas Mann seine jungen Zuhörer in Hamburg beschworen, sie sollten nach einem „europäischen Deutschland“, aber niemals wieder nach einem „deutschen Europa“ streben.
De Gaulles große Idee war ein in seiner Vielfalt und kulturellen Unterschiedlichkeit einiges Europa, ein Europa souveräner Demokratien,
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(Beifall bei der LINKEN und der AfD)
aber kein Europa, das aus Brüssel oder gar aus Berlin regiert wird, kein Europa, in dem Parlamente entmachtet werden und Regierungen vorgeschrieben wird, wie sie ihren Arbeitsmarkt, ihre Rentensysteme oder sogar ihr Streikrecht zu gestalten haben.
(Beifall bei der LINKEN und der AfD)
Der französische Präsident Mitterrand unterstützte die Währungsunion, weil er glaubte, dadurch eine deutsche Dominanz in Europa verhindern zu können.
(Beifall bei Abgeordneten der AfD)
Dazu hat der britische Historiker Timothy Garton Ash schon 2012, also vor sechs Jahren, festgestellt - ich zitiere -:
20 Jahre nach Maastricht sehen wir, dass genau das Gegenteil eingetreten ist. Ökonomisch erwies sich der Euro als überaus vorteilhaft für Deutschland. Politisch hat die Währungsunion dazu geführt, dass Deutschland am Steuer sitzt und Frankreich auf dem Beifahrersitz.