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    ROUNDUP 2/Ende eines politischen Dramas  611  0 Kommentare Türkei lässt US-Pastor frei

    ISTANBUL (dpa-AFX) - Nach einem schweren Zerwürfnis mit den USA kommt der seit rund zwei Jahren in der Türkei festgehaltene US-Pastor Andrew Brunson frei. Ein Gericht im westtürkischen Izmir ordnete am Freitag die Aufhebung des Hausarrests an. Auch die Ausreisesperre wurde aufgehoben. Brunson kann nun in die USA fliegen.

    Die gleichzeitig verordnete Haftstrafe von drei Jahren, einem Monat und 15 Tagen muss Brunson somit nicht antreten. Außerdem wird nach türkischen Medienberichten die bereits in Haft verbrachte Zeit angerechnet. Brunsons Anwalt Ismail Cem Halavurt sagte der dpa, er werde trotzdem gegen das Urteil vorgehen.

    Brunson wirkte während der Verhandlung sichtlich mitgenommen, wie eine dpa-Reporterin im Gerichtssaal berichtete. Kurz vor der Urteilsverkündung wischte er sich die Augen mit einem Taschentuch, legte die Stirn auf die Schulter seiner Frau Norine und umarmte sie minutenlang. Nach dem Urteil sagte Anwalt Halavurt, Brunson habe sich "natürlich gefreut". Seinem Mandanten würden nun die elektronischen Fußfesseln abgenommen. Sobald ein Flugzeug bereitstehe, werde er ausreisen.

    Das könnte schon bald der Fall sein: Die CNN meldete unter Berufung auf eine Quelle im Weißen Haus, dass das US-Militär Brunson in die USA fliegen werde - und zwar mit Zwischenstopp auf der US-Luftwaffenbasis im deutschen Ramstein. Da soll Brunson gründlich ärztlich untersucht werden.

    Dass er die Türkei verlassen müsse, mache Brunson "natürlich traurig", sagte Halavurt. Brunsons "ganzes Familienleben und Sozialleben" sei durch die Affäre zerstört worden. "Aber es besteht ein Sicherheitsrisiko, wenn er bleibt."

    Für die Türkei ist die Entscheidung eine weitgehend gesichtswahrende Lösung für einen Konflikt, der das Land in eine schwere Währungskrise gestürzt hatte. Die Entscheidung dürfte das durch den Streit schwer erschütterte Vertrauen der internationalen Märkte zumindest teilweise wieder herstellen und der angeschlagenen türkischen Wirtschaft ein Stück weit wieder auf die Beine helfen.

    Der Fall Brunson hatte ein schweres Zerwürfnis zwischen Washington und Ankara ausgelöst. Die Türkei warf Brunson unter anderem Spionage und die Unterstützung der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK vor. Beobachter sprachen aber von Anfang an von einem "politisch motivierten Prozess". In Analysen fiel das Wort "Geiseldiplomatie" - die Türkei versuche mit den Ausländern in U-Haft für politische Zwecke zu schachern.

    Mit dem Fall Brunson setzte sich die Türkei allerdings gehörig in die Nesseln. Um die Freilassung des Pastors zu erreichen, verhängte US-Präsident Donald Trump im August Sanktionen und Strafzölle. Die türkische Lira brach daraufhin stark ein. Die Währungskrise dauert auch Wochen später noch an und wirkt sich zusammen mit der massiven Inflation auf die gesamte Wirtschaft aus. Auf die Entscheidung des Gerichts reagierte die Lira sofort mit einem Ausschlag nach oben.

    Während des international mit Spannung verfolgten Gerichtstermins waren zentrale Zeugenaussagen in sich zusammengefallen. Wie die Zeitung "Hürriyet" am Freitag berichtete, zogen insgesamt drei Zeugen Aussagen zurück. Die dpa-Reporterin im Gerichtssaal berichtete, wie sich Zeugen der Anklage in einem geradezu bizarren Austausch gegenseitig widersprachen. Ein per Videoleitung zugeschalteter Zeuge sagte zunächst, er habe von zwei weiteren Zeugen gehört, dass in Brunsons Kirche Mitglieder der PKK und Anhänger der Gülen-Bewegung ein und aus gegangen seien. Sowohl die PKK als auch die Gülenisten gelten in der Türkei als Terroristen. Die betreffenden Zeugen gaben jedoch kurze Zeit später zu Protokoll, dass sie das doch wiederum von dem ersten Zeugen gehört hätten.

    Die USA hatten zuletzt den Druck auf die Türkei immer wieder erhöht und betont, wie wichtig Brunsons Freilassung für die US-türkischen Beziehungen sei. US-Außenminister Mike Pompeo hatte in der Nacht zum Donnerstag der Türkei erneut dringend angeraten, Brunson nach Hause zu schicken. Der US-Sender NBC berichtete einen Tag vor der Fortsetzung des Prozesses von einer geheimen Einigung zur Freilassung des Pastors - Washington bestätigte das jedoch nicht.

    US-Präsident Donald Trump twitterte am Gerichtstag gleich mehrmals und schrieb unter anderem: "Pastor Brunson gerade freigelassen. Wird bald zu Hause sein." Auf einen anderen Trump-Tweet - "Arbeiten hart am (Fall von) Brunson" - reagierte die Türkei allerdings empfindlich. Man wolle Trump abermals darauf aufmerksam machen, dass die türkischen Gerichte unabhängig seien, hieß es in einer Stellungnahme von Präsident Erdogans Kommunikationsdirektor. Trump hatte den Fall zu einem persönlichen Anliegen gemacht und mehrmals gefordert, dass Brunson sofort freikommen müsse. Vor den im kommenden Monat anstehenden Kongresswahlen in den USA dürfte die Freilassung von Brunson auch bei seiner Wählerschaft gut ankommen.

    Der 50-Jährige Brunson hat mehr als 20 Jahren lang in der Türkei gelebt. Er war Pastor an einer evangelikalen Kirche in der Küstenmetropole Izmir, als er wenige Monate nach dem Putschversuch vom Juli 2016 in der Türkei festgenommen und dann im Dezember desselben Jahres in Untersuchungshaft genommen wurde. Ende Juli wurde er wegen Gesundheitsproblemen in den Hausarrest entlassen. Mit seiner Freilassung endet nun ein politisches und persönliches Drama./jam/DP/nas





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