Interview Lucke (AfD)
"Europas Sparer sanieren die Schuldner"
Seit fast fünf Jahren schwelt die Eurokrise in Europa. Was anfangs ein kleines Problem schien, wuchs zu einer ernsthaften Krise heran, bei der immer größere
Rettungsschirme gespannt werden mussten. Anfang 2013 wurde in Deutschland eine Partei gegründet, die die Eurorettungspolitik der Regierung Angela Merkel kritisiert. Anfangs belächelt, wird die
Alternative für Deutschland (AfD) inzwischen von den etablierten Parteien ernst genommen. Einige Umfragen trauen der AfD zu am 22.9.2013 den Einzug in den Bundestag zu.
Prof. Bernd Lucke, Parteivorsitzender der AfD, stellte sich Fragen rund um die Themen Eurokrise und deren Auswirkung auf Sparer und Anleger, die Rückkehr zur D-Mark, die Politik der Bundesregierung
sowie die Haltung von EZB und Bundesbank.
Herr Prof. Lucke, welche Fehler wurden bei der Euroeinführung gemacht?
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Prof. Bernd Lucke: Die Einführung des Euro selbst war ein Fehler, weil wir die Möglichkeit einer Anpassung der nominalen Wechselkurse leichtfertig aufgegeben haben. Das Europäische Währungssystem
war viel besser, weil es zwar im Prinzip feste Wechselkurse vorsah, diese aber bei Bedarf angepasst werden konnten. Ein zweiter Fehler war natürlich die viel zu weiche Formulierung der
Nicht-Beistandsklausel. Man hätte ein striktes Verbot des Eintretens für fremde Schulden formulieren müssen und den Bürgern die Möglichkeit einräumen müssen, die Einhaltung dieses Verbots
gerichtlich durchzusetzen. Ein dritter Fehler bestand in der Größe des Währungsgebietes. Man hätte erst einmal mit einer kleinen Gruppe stabiler Länder anfangen sollen.
Was war Ihrer Meinung nach der Auslöser der Eurokrise?
Lucke: Die Aufweichung der Stabilitätskriterien des Maastrichter Vertrages. Nachdem Schröder und Eichel demonstriert hatten, dass man straflos gegen das Defizitziel verstoßen konnte, entfielen die
letzten Anreize für fiskalische Disziplin. Griechenland hat folglich selbst in seinen Boomjahren vor 2007 nie einen Versuch gemacht, seine Schulden abzubauen. Die Schulden stiegen vielmehr immer
weiter an und lagen schon vor Beginn der Finanzkrise bei 100% des BIPs.
Welche Fehler wurden am Anfang der Eurokrise gemacht?
Lucke: Der Bruch der Nichtbeistandsklausel war ein Riesenfehler. Das war ein Dammbruch, der den Euro irreparabel beschädigt hat. Seitdem ist der Euro keine Hartwährung mehr, die von der Zentralbank
kontrolliert wird. Vielmehr ordnet sich die Geldpolitik der EZB den fiskalischen Erfordernissen der unsoliden EU-Staaten unter. Ein zweiter Fehler bestand in der Illusion, man könne das Prinzip der
Konditionalität durchsetzen: Frisches Geld nur gegen die Erfüllung von Strukturanpassungsauflagen. Das funktioniert nur dann, wenn man bereit ist, bei Nichterfüllung der Auflagen den Geldhahn auch
wirklich abzudrehen. Aber diese Bereitschaft gab es nie, denn man hatte ja Angst, dass daraus Finanzmarktturbulenzen entstehen würden, die auch andere Länder in die Krise reißen würden. Außerdem
erleidet man den Verlust der eigenen Forderungen, wenn ein Staat in die Insolvenz geht. Es gab also immer einen Anreiz, die Nichterfüllung der Auflagen zu dulden und neues Geld bereitzustellen,
statt hart durchzugreifen.
Ginge es Deutschland mit der DM besser, wenn ja warum?
Lucke: Ein Austritt Deutschlands aus dem Euro ist nicht das, was wir fordern. Wenn wir die DM behalten hätten, statt den Euro einzuführen – klar ginge es uns dann jetzt besser. Aber da wir nun mal
den Euro haben, haben Deutsche sehr große Auslandsforderungen, die größtenteils auf Euro lauten. Das sind rund 5000 Mrd. Euro, 600 Mrd. davon sind die berühmten Target-Forderungen. Wenn wir die DM
wieder einführen würden, würde sie gegenüber dem Euro aufwerten und das würde zu gewaltigen Verlusten für diejenigen führen, die diese Auslandsforderungen halten. Deshalb ist es besser, wenn
Deutschland im Euro bleibt und diejenigen Staaten ausscheiden, die mit dem Euro nicht klarkommen. Dann werten zwar deren Auslandsschulden auf (aus der Perspektive der neuen, nationalen Währungen),
aber gleichzeitig führt die Abwertung der nationalen Währung dazu, dass die Wirtschaft dieser Staaten wieder wächst. Dadurch steigen die Steuereinnahmen dieser Staaten und folglich auch ihre
Schuldentragfähigkeit. Da die Steuereinnahmen dauerhaft höher sind, während die Schuldenaufwertung nur ein Einmaleffekt ist, sind die betroffenen Staaten vermutlich sogar besser imstande, ihre
Schulden zurückzuzahlen.
Wenn Sie übrigens auf die Effekte einer Aufwertung einer eventuellen neuen deutschen Währung anspielen, so muss man sagen, dass diese bei weitem keineswegs nur negativ sind. Schon der Begriff
„Aufwertung“ sagt ja zunächst mal, dass unser Geld wertvoller wird. Deutsche Haushalte und Unternehmen können also im Ausland billiger einkaufen. Damit werden die deutschen Konsumenten real reicher
und fragen deshalb auch im Inland mehr Waren nach. Das wirkt einem Nachfragerückgang im Ausland entgegen. Die Kosten der Unternehmen sinken, sodass sie höhere Gewinnspannen haben. Die Konjunktur in
unseren Abnehmerländern verbessert sich durch die Abwertung ihrer Währung, sodass mehr Einkommen entstehen und damit auch mehr Nachfrage nach Importen. Das alles wirkt der aufwertungsbedingten
Preissteigerung deutscher Waren entgegen. Wenn man nun noch berücksichtigt, dass die Bundesbank eine Aufwertung ja auch durch Interventionen am Devisenmarkt immer abbremsen und zeitlich strecken
kann, sind Horrorszenarien, wie sie die Bundesrepublik verbreitet, völlig unangemessen. Eine Aufwertung erhöht den Wettbewerbsdruck auf unsere Wirtschaft und das befördert Innovationen und
Produktivitätswachstum. Dieser Druck hat früher sehr segensreich dazu beigetragen, dass Deutschland eine innovative, dynamische Wirtschaft entwickelt hat und er würde dies auch künftig tun.
Was werfen Sie den etablierten, insbesondere auch den derzeitigen Regierungsparteien vor?
Lucke: Dass sie nicht langfristig denken. Natürlich kann man den Euro noch ein paar Jahre erhalten, indem man Unsummen Geld in das System stopft. Oder man kann an den gröbsten Auswirkungen der
Energiewende herumdoktern, indem man eine Novelle des EEG nach der andern macht. Oder man kann in eine Bankenunion hineinstolpern, deren Konturen noch gar nicht klar sind, die aber das große Risiko
einer gemeinschaftlichen Einlagensicherung birgt. Oder man kann die Leistungen unserer Sozialversicherungssysteme drosseln, um die Auswirkungen des demographischen Wandels zu übertünchen. Aber was
man eigentlich machen müsste ist, problemadäquate Lösungen zu finden statt an den Symptomen zu kurieren.
Was sind die Ergebnisse und Konsequenzen dieser Fehler?
Lucke: Wir verbauen uns unsere langfristigen Zukunftsperspektiven. In Europa wuchern wir in eine Transferunion hinein, die keinen klaren Regeln folgt, die aber unsere künftige finanzielle
Handlungsfähigkeit bedroht. In der Energiepolitik begeben wir uns in die Abhängigkeit von Stromerzeugungstechniken, die unzuverlässig und überteuert sind. Darin haben wir uns auf bis zu 20 Jahre
gebunden und gefährden so den Wirtschaftsstandort Deutschland und belasten die Haushalte über Gebühr. Bei der Bankenunion setzen wir ein relativ stabiles und gut funktionierendes Bankensystem den
Risiken aus, die in den sehr viel schlechter aufgestellten Finanzsystemen anderer Länder existieren. Und in den Sozialversicherungssystemen laufen wir sehenden Auges in ein riesengroßes
Finanzierungsproblem, statt rechtzeitig beherzte Schritte für mehr kapitalbildende Vorsorge einzuleiten. Seit der Einführung der Riester-Rente ist jeder Reformwille erlahmt.
Wie würde Europa aussehen, wenn Sie es aktiv gestalten könnten?
Lucke: Sehr ähnlich dem Europa, das wir gegenwärtig haben, mit zwei Ausnahmen: Es würde keine gemeinsame Währung mehr geben sondern ein Wechselkurssystem mit quasi fixen Paritäten ähnlich dem
bewährten Europäischen Währungssystem, das wir in den neunziger Jahren hatten. Und zweitens würden wir die Brüsseler Bürokratie- und Regulierungswut eindämmen, indem Brüssel nur noch die
Kompetenzen bekommt, für die es eine explizite vertragliche Grundlage gibt. Außerdem sollte Brüssel nicht mehr detaillierte Regeln entwerfen, sondern schlicht die Ziele gemeinsamer Politik
festsetzen und es den Nationalstaaten überlassen, wie diese Ziele realisiert werden.
Wie beurteilen Sie die Politik der EZB und der Bundesbank in der Eurokrise?
Lucke: Die EZB hat ihr Mandat überdehnt. Eigentlich soll sie sich ja vorrangig der Inflationsbekämpfung widmen. Aber sie hat sich jetzt gleichzeitig auch vielen anderen Zielen zugewandt: Der
Beruhigung der Finanzmärkte, der verbotenen monetären Staatsfinanzierung, der Regulierung des europäischen Bankensystems, der finanziellen Repression durch Niedrigzinsen. Man kann aber nicht Diener
mehrerer Herren sein. Wenn es stärkeren Preisauftrieb gibt, wird sich die EZB entscheiden müssen, welches Ziel sie aufgibt und ich fürchte, das wird das Ziel der Preisstabilität sein.
Welche Auswirkungen wird die Eurokrise auf Sparer und Anleger haben?
Lucke: Nun, sie hat schon die Auswirkung, dass wir künstlich niedrige und zum Teil negative Realzinsen haben. Die Sparanreize sind also sehr niedrig, während die Anreize zur Verschuldung sehr hoch
sind. Das ist genau das Gegenteil dessen, was erforderlich ist. De facto werden sich die Schuldner in Europa auf Kosten der Sparer sanieren, d. h. es findet außerhalb des Steuersystems und jenseits
der dafür eigentlich vorgesehenen parlamentarischen Kontrolle eine gewaltige Umverteilung statt.
Wird es Ihrer Meinung den Euro in fünf Jahren in derzeitiger Form noch geben?
Lucke: Nicht wenn wir bei der künftigen Bundestagswahl die absolute Mehrheit kriegen. Andernfalls muss man aber befürchten, dass die etablierten Parteien den Euro erhalten. „Koste es, was es
wolle“, hat Frau Merkel gesagt.
Sie treten mit Ihrer Partei AfD bei der Bundestagswahl 2013 an. Welches sind Ihre wichtigsten politischen Themen?
Lucke: Nun, in aller Kürze: Die Eurokrise und die fatale Vergemeinschaftung der Schulden. Das Demokratiedefizit in der EU und teilweise auch in Deutschland. Das Verlangen nach direkter Demokratie
auch in Deutschland – wenn es um die Abtretung von Hoheitsrechten geht wie etwa bei der Bankenunion. Die Entbürokratisierung und Entregelmentierung der EU. Ein einfaches Steuerrecht in Anlehnung an
Kirchhof. Ein Einfrieren der teuren regenerativen Energieerzeugung. Ein auf Qualifikation abstellendes Zuwanderungsrecht nach kanadischem Vorbild. Eine liberalere Asylpolitik für die, die ernsthaft
politisch verfolgt sind. Der Erhalt des dreigliedrigen Schulsystems und auch eine stärkere finanzielle und moralische Förderung von Kindern und Familien. Und natürlich eine nachhaltige, teilweise
kapitalgedeckte Finanzierung der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung.
Wie erleben Sie den Wahlkampf?
Lucke: Sehr motivierend. Die Einsatzbereitschaft und der Enthusiasmus unserer Parteimitglieder suchen ihresgleichen. Wir sind ja überhaupt nicht professionell aufgestellt, aber von den Graswurzeln
her wird ein toller, einfallsreicher und überaus engagierter Wahlkampf gemacht. Keine Partei hat einen so hohen Mobilisierungsgrad wie wir. Die Mitglieder opfern unendlich viel Zeit, Material und
Geld und die Stimmung ist einfach bombig.
Herr Professor Lucke, vielen Dank für dieses Gespräch.
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