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    GESAMT-ROUNDUP  616  0 Kommentare SPD zittert sich in Koalitionsverhandlungen

    BONN (dpa-AFX) - Vier Monate nach der Bundestagswahl hat die SPD mit knapper Mehrheit den Weg zu Koalitionsverhandlungen mit der Union frei gemacht. Nach einer konfrontativen und emotionsgeladenen Debatte stimmten auf dem Parteitag in Bonn 56,4 Prozent von 642 Delegierten und Vorstandsmitgliedern dafür. Die Verhandlungen über eine Neuauflage der großen Koalition können damit in den nächsten Tagen beginnen und im besten Fall bereits im Februar abgeschlossen werden. Danach muss aber noch eine hohe Hürde überwunden werden: Die mehr als 440 000 SPD-Mitglieder stimmen über den Koalitionsvertrag ab und haben damit das letzte Wort.

    Der Beschluss löste bei den Parteispitzen von SPD und Union zwar Erleichterung aus. Es gibt aber bereits reichlich Zündstoff für die Verhandlungen. Die SPD will weitere Forderungen in den Bereichen Arbeit, Gesundheit und Flüchtlinge durchsetzen. Die Union schließt ein deutliches Entgegenkommen aus. "Ich sehe da keine Möglichkeit", sagte CSU-Chef Horst Seehofer. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kündigte an, "sehr schnell" in die Gespräche zu starten.

    SPD-Chef Martin Schulz erwartet "harten" Verhandlungen. Er hatte in einer kämpferischen Rede für eine große Koalition geworben. Kurz vor der Abstimmung trat er nochmals ans Rednerpult und sprach von einem "Schlüsselmoment" in der Geschichte der SPD. "Ich glaube, dass die Republik in diesem Moment auf uns schaut", sagte er. "Ja, man muss nicht um jeden Preis regieren, das ist richtig. Aber man darf auch nicht um jeden Preis nicht regieren wollen."

    Sein schärfster Widersacher Kevin Kühnert hatte an die Genossen appelliert, trotz weitreichender Folgen nicht vor einem Nein zurückzuschrecken. Der Leitspruch des Juso-Chefs für die Abstimmung: "Heute einmal ein Zwerg sein, um künftig wieder Riesen sein zu können." Damit spielte er auf eine Aussage des CSU-Landesgruppenchefs Alexander Dobrindt an, der den Jusos einen "Zwergenaufstand" vorgeworfen hatte. Die GroKo-Gegner wollen sich nach dem Ja noch nicht geschlagen geben. Sie kündigten an, ihre Nein-Kampagne bis zum Mitgliederentscheid fortzusetzen.

    In der mehr als vierstündigen Debatte sprach sich eine knappe Mehrheit der etwa 50 Redner für eine große Koalition aus. Die Befürworter kamen überwiegend aus der Parteiführung. Fast alle prominenten Sozialdemokraten sind für eine große Koalition. Die leidenschaftlichste Rede hielt SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles. Die Bürger würden der SPD einen Vogel zeigen, wenn sie sich trotz guter Sondierungsergebnisse für eine Neuwahl entscheide, sagte sie. In den Koalitionsverhandlungen könne noch mehr für die SPD herausgeholt werden. "Wir werden verhandeln, bis es quietscht auf der anderen Seite."

    Schulz versprach, dass in den Koalitionsverhandlungen weitere Forderungen der SPD durchgesetzt würden. Unter anderem in der Gesundheitspolitik seien Ergänzungen des Sondierungspapiers nötig. "Wir werden konkrete Maßnahmen zum Abbau der Zwei-Klassen-Medizin verlangen - und wir werden sie durchsetzen", sagte er. Gemeint ist die unterschiedliche Behandlung gesetzlich und privat versicherter Patienten. Zudem müssten befristete Arbeitsverhältnisse künftig die Ausnahme sein. Als dritten Punkt versprach Schulz eine wirksame Härtefallregel für den Familiennachzug von Flüchtlingen.

    Die Parteitag beschloss, mit diesen drei Forderungen in die Verhandlungen zu gehen. CDU und CSU sind aber strikt gegen grundsätzliche Änderungen der 28-seitigen Sondierungsvereinbarung, auf die sich beide Seiten am 12. Januar verständigt hatten. Merkel betonte, dass sei die Grundlage für die Verhandlungen.

    Schon jetzt dauert die Regierungsbildung so lange wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Erst scheiterten im November die wochenlangen Sondierungsgespräche über eine Jamaika-Koalition an der FDP. Zu den Sondierungsgesprächen zwischen Union und SPD kam es erst nach einer Kehrtwende von Schulz, der sich ursprünglich auf die Oppositionsrolle festgelegt hatte. Hätte die SPD mit Nein gestimmt wären nur eine Minderheitsregierung, eine Rückkehr zu den Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition oder eine Neuwahl möglich gewesen.

    Mit dem Votum verhinderten die Delegierten auch den Sturz der SPD in eine tiefe Krise. Für den Fall eines Neins war mit dem Rücktritt von Schulz gerechnet worden. Vor dem Parteitag war die Partei in den Umfragen bis auf 18 Prozent abgesackt. Das Abstimmungsergebnis ist aber knapper als in der Parteispitze erwartet. Dort hatte man sich mindestens 60 Prozent erhofft. Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz sprach trotzdem von einem "ordentlichen" Ergebnis. "Dieser Parteitag ist ein Signal der Kraft."

    Am Sonntagabend berieten die Gremien von CDU und CSU über das weitere Vorgehen. Am Montag sollen die Spitzen beider Seiten das weitere Verfahren festlegen. Die eigentlichen Verhandlungen sollen noch in dieser Woche beginnen. Wann ist noch unklar./mfi/jac/ted/DP/he





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