Halvers Woche
"Sind Energiekrisen eine ausgestorbene Spezies? " - Seite 2
Energiepreisentspannend ist aber auch das eigene finanzielle Hemd, das z.B. Russland näher als der außenpolitische Rock ist. Russlands Staatshaushalt bricht ohne die Einnahmen aus Energieverkäufen das Fundament weg. Und selbst die islamistischen Terroristen finanzieren ihr aggressives Schreckensregime über Ölverkäufe aus den von ihnen besetzten Gebieten. Ohnehin ist eine Verknappung des Öls aus dem Nahen Osten unwahrscheinlich. Denn die öl- und gasverbrauchenden Länder würden sich im Bedarfsfall freiwillig und zügig in einer Energie-Koalition der Willigen einfinden. Mit Blick auf ihre energierisikofreie Prosperität hätte niemand von ihnen etwas dagegen, wenn islamistische Terroristen unter amerikanischer Militärführung so schnell wie möglich von der Landkarte verschwinden.
Insgesamt ist damit für mich ein theoretischer Preisschock bei Öl und Gas praktisch vom Tisch. Steigt der Preis für altes Öl zu stark, wird eben mehr neues tiefseegebohrt oder gefrackt. Ich wage
die Prognose, dass der Ölpreis – abseits von schweren geopolitischen Schocks – nicht nur konstant bleiben, sondern sogar fallen wird. Hiervon wird auch Europa preislich
profitieren. Unseren Motoren oder Heizungen ist es völlig gleichgültig, ob die Energie aus dem Nahen Osten, der Nordsee, aus Russland oder aus Amerika, auch in Form von Flüssiggas, kommt.
Hauptsache, sie kommt.
So kann unser Ölpreis mittelfristig von derzeit knapp 100 US-Dollar pro Barrel sogar auf 80 fallen. Für die europäischen Volkswirtschaften wäre dies gleichbedeutend mit einer massiven
Zinssenkung, von der allerdings nicht nur Kreditnehmer, sondern alle Europäer profitieren, die direkt oder indirekt von Energiefragen betroffen sind. Stellen Sie sich nur einmal fallende Heiz-
und Tankrechnungen vor. Die würden unserer Konsumlaune wie bei einem Energy Drink Flügel verleihen. Und auch die europäische Industrie freut sich: Wenn die Margen steigen, steigen die
Unternehmensgewinne und die Aktienkurse. Und dann haben die Aktionäre noch einen energieseitigen Vorteil.
Bleibt zum Schluss nur noch die Hoffnung, dass uns Vater Staat keinen Strich durch unsere deflationierten Heiz- und Tankrechnungen macht. Er könnte auf die Idee kommen, sinkende Energiepreise
klammheimlich durch höhere Energiesteuern auszugleichen. Denn insgesamt wird es ja nicht teurer. Zuzutrauen wäre es ihm. Energie-Auge sei wachsam!
von Robert Halver, Baader Bank AG
© 19. September 2014
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