Infinus: Stockholm-Syndrom bei Anlegern!
Die Verhaltensökonomik ist ein Teilgebiet der Wirtschaftswissenschaft. Sie beschäftigt sich mit menschlichem Verhalten in wirtschaftlichen Situationen. Emotionen spielen an der Börse wie auch bei börsenunabhängigen Investments oder Kapitalanlageentscheidungen im Allgemeinen eine ganz entscheidende Rolle. Behavioral Finance hat sich als Begriff für die Verhaltensökonomie mittlerweile etabliert. Zahlreiche Studien haben in den letzten Jahren belegt, dass sich Kapitalanleger häufig irrational verhalten.
Es ist mittlerweile belegt, dass Verhaltensmuster so tief in verankert sind, dass die meisten Menschen kaum in der Lage sind, psychologische Fallen als solche zu erkennen und zu umgehen. Das hat grundlegend nicht zwangsläufig etwas mit Kapitalanlagen zu tun, sondern derartige Verhaltensmuster betreffen alle Bereiche des Lebens. Selbstüberschätzung, Herdenverhalten oder Übertreibung sind beispielsweise häufig auftretende Verhaltensmuster.
Das Stockholm-Syndrom ist ein häufig zu beobachtender Bewältigungsmechanismus
Aktuell zeigt sich wieder einmal ein weiterer, psychologischer Effekt, den ich mit dem bekannten Stockholm-Syndrom vergleiche. Das Stockholm-Syndrom beschreibt das psychologische Phänomen, bei dem Opfer von Geiselnahmen ein positives emotionales Verhältnis zu ihren Entführern aufbauen. Dies kann dazu führen, dass das Opfer mit den Tätern sympathisiert und mit ihnen kooperiert.
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Entstanden ist dieser Begriff im Jahr 1973 im Zuge einer Geiselnahme in einer Bank in Stockholm. Damals wurde beobachtet, dass die Geiseln eine größere Angst vor der Polizei hatten, als vor ihren Geiselnehmern. Im Anschluss an die Tat waren die Geiseln den Tätern sogar dankbar für die Freilassung, baten um Gnade für die Geiselnehmer und besuchten diese sogar im Gefängnis.
Paradox: Anleger sind nicht wütend auf die Betrüger, sondern auf die Staatsanwaltschaft
Vergleichbares ist aktuell beim Infinus-Kapitalanlagebetrug zu beobachten. Mit fragwürdigen Geldanlagen und hohen Renditeversprechen haben die Drahtzieher hinter der verschachtelten Infinus-Gruppe (Nachfolgende Grafik von Fondsprofessionell) aus Dresden rund 22.000 Kapitalanleger um insgesamt mehr als 300 Millionen Euro betrogen. Fünf verantwortlichen Manager wurden jetzt wegen gewerbsmäßigen Banden- und Kapitalanlagebetrugs zu relativ hohen Haftstrafen, zwischen viereinhalb und acht Jahren verurteilt. Normalerweise sollte jetzt selbstverständlich davon ausgegangen werden, dass die Betrugsopfer – die hohe Geldbeträge, ihre Ersparnisse oder teilweise ihre gesamte Altersvorsorge verloren haben – die Schuld bei den verantwortlichen und verurteilten Tätern suchen. Interessanterweise ist dem aber nicht so, wie Beobachtungen bzw. Aussagen im Rahmen des Prozesses zeigen.
Zahlreiche – am Prozess als Beobachter teilnehmende – geschädigte Anleger vertreten die Sichtweise, dass ein erfolgreiches Unternehmen angeblich zerstört und entrechtet wurde. Die Schuld für das Scheitern von Infinus wird der Staatsanwaltschaft zugeschrieben, da das Schneeballsystem bis zum Einschreiten der Behörden einwandfrei funktionierte, da stets hohe Renditen ausbezahlt wurden. Diese Argumentation war auch die Strategie der Verteidiger, die auf Freispruch plädierten. Zahlreiche Anleger folgten dieser Mär.
Ein derartiger Irrglaube ist für mich eine Art Stockholm-Syndrom bei Kapitalanlegern. Den identischen Effekt habe ich schon häufiger bei Betrugsfällen im Kapitalanlagebereich beobachtet. Im Fall von Infinus sind nach meiner Einschätzung übrigens auch zahlreiche Vermittler tendenziell mehr Opfer als Mittäter. Diese sehen sich interessanterweise nach meiner Einschätzung weit stärker getäuscht von den verantwortlichen Tätern, als die Anleger als eigentliche Opfer, vor allem weil sie teilweise in gutem Glauben und Vertrauen selbst investiert haben und jetzt zusätzlich Klagen von Anlegern gegenüberstehen.
© Markus Miller – Geschäftsführer GEOPOLITICAL.BIZ S.L.U. – Beachten Sie bitte unsere PREMIUM PARTNER