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    Mittelbayerische Zeitung  454  0 Kommentare Berechnend und dominant/Algorithmen verändern nicht die Zukunft, sondern sie beherrschen bereits unsere Gegenwart. Von Christine Strasser

    Regensburg (ots) - Bilanzen, Handelskonflikte, Aktienkurse oder
    eine Zinsentscheidung wie die der EZB vergangene Woche - was prägt
    unsere Wirtschaft? Nach welchen Logiken funktioniert das
    Wirtschaftssystem? Kluge Köpfe denken wirtschaftliche und soziale
    Entwicklung zusammen. Auf der Frankfurter Buchmesse wird man auf
    solche Denker stoßen. Denn dort wird das beste Wirtschaftsbuch des
    Jahres mit dem Deutschen Wirtschaftsbuchpreis ausgezeichnet. Verdient
    hätten diesen Preis Jörg Dräger und Ralph Müller-Eiselt, die mit "Wir
    und die intelligenten Maschinen" zu den Finalisten gehören. Sie
    beschreiben die "algorithmische Gesellschaft" - nicht in der Zukunft,
    sondern in der Gegenwart. Längst sollte über eine Art neuen
    Gesellschaftsvertrag im Zeitalter der künstlichen Intelligenz
    gestritten werden. Aber die allzu oft lahmende Digitalrepublik
    Deutschland hinkt nicht nur beim Glasfaserausbau, sondern auch bei
    der Debatte über soziale Folgen und Gestaltungsfragen beim Megathema
    KI hinterher. Laut einer Bertelsmann-Umfrage, die Dräger und
    Müller-Eiselt zitieren, weiß nur ein Zehntel der Deutschen, wie
    Algorithmen in etwa funktionieren. Dabei durchdringen sie unser
    Leben. In Teilen Berlins werden etwa Grundschulplätze seit einigen
    Jahren algorithmengestützt vergeben. Es gibt Fälle, da wird die
    Datenanalyse zu einem Vorteil für die Gesellschaft. Man denke an
    Kriminalitätsprognosen, bei denen anhand von Daten über Bebauung,
    Demografie, Wetter und Verkehrslage die Wahrscheinlichkeit für
    Einbrüche berechnet werden kann. Aber Künstliche Intelligenz steckt
    auch voller Tücken. Die Mathematikerin Cathy O'Neil macht sich schon
    länger Gedanken über "Mathezerstörungswaffen". Damit ist nicht
    gemeint, dass Algorithmen die Mathematik zerstören, sondern sie
    benutzen sie. Sie durchforsten riesige Datenmengen auf der Suche nach
    Mustern, auf die sie Vorhersagen gründen: da-rüber, ob ein Bankkunde
    einen Kredit zurückzahlen wird, ob ein Bewerber für einen Job
    geeignet ist oder wie Arbeitskräfte am wirkungsvollsten eingesetzt
    werden können. Algorithmen stellen gefühllos Berechnungen an. Für sie
    spricht, dass sie, wenn sie gut programmiert sind, zu ehrlichen
    Ergebnissen kommen. Zahlen lügen nicht, sagt man. Andererseits sind
    Algorithmen einfach nur berechnend, stets auf ein Ziel bedacht, das
    oft genug darin besteht, menschliche Fehler zu erkennen. Geschähe das
    auf transparente Art, wäre das wohl noch hinnehmbar, aber oft bleiben
    die Berechnungen für den Betroffenen verborgen. In den USA gibt es
    beispielsweise bereits Unternehmen, die Fotos von Bewerbern
    analysieren lassen. Angeblich lassen sich so Wahrscheinlichkeiten für
    Krankheiten berechnen. Bei einer Jobabsage erfährt der Bewerber aber
    nicht, dass das der Grund für sein Scheitern war. Sein Leben wird von
    einem Algorithmus gelenkt, ohne dass er das überhaupt weiß. Menschen
    weichen im Denken und Handeln ständig von der vollständigen Vernunft
    ab. Viele Algorithmen, denen wir online begegnen, setzen da an. Es
    geht darum, Dinge zu vermarkten und zu verkaufen. Greift der Käufer
    zu, weil er entschieden hat, dass er das angebotene Produkt braucht?
    Viele Entwickler stecken ihre Energie jedenfalls gerade nicht in die
    Lösung von Menschheitsproblemen, sondern vor allem in die
    Programmierung solcher Anwendungen, die menschliche Schwachstellen
    ausnutzen. Ausgefeilte Verkaufsstrategien sind kein neues Phänomen.
    Genauso wenig wie Automatisierung. Insbesondere sie wird in ihren
    aggressiven Ausprägungen durch Künstliche Intelligenz verstärkt. Das
    birgt sozialen Sprengstoff. Eine beträchtliche Anzahl von Menschen
    leitet ihren Selbstwert von ihrer Arbeit ab. In den meisten
    Industrieländern ist eine Kehrseite der KI zu spüren: die
    Aufspreizung in hoch bezahlte Jobs und in immer mehr schlecht
    bezahlte. Diese Entwicklung wird nicht erst kommen, sie läuft bereit
    ab. Um mit Algorithmen umzugehen, muss man sich klarmachen: Es geht
    nicht um eine düstere Zukunftsvision, sondern um die Realität.

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