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     893  0 Kommentare Jonathan Tseng, Fidelity International: „Bargeld ist in China praktisch ausgestorben“

    Im Interview erläutert Jonathan Tseng, Technologie-Analyst bei Fidelity International, warum Chinas Aufstieg zur Weltmacht kein Zufall ist und die meisten Chinesen beim Bezahlen nur noch zum Handy greifen.Herr Tseng, vor 30 Jahren war China noch ein Entwicklungsland. Heute gehören chinesische Technologieunternehmen zu den führenden Konzernen weltweit. Wie hat das Land das geschafft?
    Jonathan Tseng: Dafür muss ich ein bisschen ausholen: Die Geschichte zeigt, dass Konflikte zwischen Nationen seit jeher ein wichtiger Treiber für technologische Entwicklungen sind. So gesehen begann der Aufstieg Chinas wohl mit seiner Niederlage im ersten Opiumkrieg Ende des 18. Jahrhunderts. Damals zog China mit Großbritannien in den Krieg, weil die Briten im großen Stil Opium an China verkauften. Aber trotz einer Armee, die vierzig Mal größer war als die der Briten, konnte China nicht mit der britischen Marinetechnologie konkurrieren – insbesondere nicht mit modernen Dampfschiffen, die chinesische Festungen und Schiffe mit Kanonen zerstören konnten, aber für chinesische Waffen unverwundbar waren.
    Was hat China daraus gelernt?
    Tseng: China war zu der Zeit eine wirtschaftliche Supermacht, die größte Volkswirtschaft der Welt. Aber das Land hat den Krieg verloren, weil seine Technik der des Westens nicht gewachsen war. Diese Demütigung hat sich tief ins kollektive Gedächtnis der Chinesen gebrannt.
    Mit welchen Folgen?
    Tseng: Schon im Jahr vor der endgültigen Niederlage begannen die Chinesen damit, die britischen Schiffe in geheimen Werften zu kopieren. Als die Briten schließlich in China einfielen, fanden sie 18 exakte Kopien von westlichen Kanonen sowie mehrere Schiffe mit Schaufelrad-Antrieb. China konnte die Technik des Westens nicht schlagen, aber das Land hat schon damals versucht, sie zu kopieren. In den folgenden Jahrhunderten haben sie dieses Muster beibehalten – bis die Kopie irgendwann besser wurde als das Original.
    Wem ist das besonders gelungen?
    Tseng: Huawei zum Beispiel. Im Jahr 1987 von Ren Zhengfei gegründet, stand der Technologie-Konzern lange im Schatten westlicher Konkurrenten wie Ericsson, Cisco oder Marconi. Huawei war jedoch in der Lage, Konkurrenztechnologien zu kopieren und Marktanteile zu gewinnen, indem das Unternehmen Basisstationen 30 Prozent billiger verkaufte als westliche Unternehmen. Diese Strategie hat funktioniert.
    Marconi gibt es nicht mehr, Huawei zählt heute zu den größten Tech-Konzernen der Welt. Liegt das wirklich nur am niedrigen Preis?
    Tseng: Nein, das hat andere Gründe. Im Gegensatz zum börsennotierten Marconi verspürte Huawei nie den Druck, kurzfristig Gewinne erzielen zu müssen. Die Chinesen konnten sich mit der Entwicklung Zeit lassen. Schon bald beschränkten sie sich nicht mehr allein auf die Kopie, sondern fügten eigene Ideen hinzu, die bei den Konsumenten gut ankamen. So hat der chinesische Konzern Schritt für Schritt die westliche Konkurrenz aus dem Markt gedrängt.
    Vielen westlichen Firmen, aber auch Regierungen macht eine solche rasante Entwicklung Angst. US-Präsident Donald Trump versucht seit einiger Zeit recht eindrucksvoll, den Chinesen mit Strafzöllen Einhalt zu gebieten. Wie erfolgsversprechend ist diese Strategie?
    Tseng: Das Rennen um die technologische Vorherrschaft ist immer auch ein Wettbewerb zwischen den Ländern selbst. Mit den protektionistischen Maßnahmen will die US-Regierung unter anderem verhindern, dass die Chinesen weiter geistiges Eigentum von US-Unternehmen kopieren oder gar ganze Konzerne aufkaufen. Deshalb dürfen bestimmte Geräte auch nicht nach China verkauft werden. China hat aber diesen unglaublichen Ehrgeiz, aufzuholen. Ich denke es wird schwer, dagegen vorzugehen.
    Wie zeigt sich dieser Ehrgeiz?
    Tseng: Schauen wir uns zum Beispiel die Halbleiter-Industrie an. Die Hälfte aller Chips weltweit wird nach China importiert, um die gewaltige Nachfrage der heimischen Tech-Industrie zu befriedigen. Aber nur 10 Prozent der globalen Chip-Produktion findet im Inland statt. Das will die chinesische Regierung ändern – und sie ist bereit, viel Geld dafür auszugeben. Das Programm "China 2025" sieht Milliardenförderungen für chinesische High-Tech-Unternehmen vor, die in Branchen tätig sind, die von ausländischen Unternehmen beherrscht werden. Darunter auch die Halbleiter-Industrie.

    Wie erfolgreich ist das Programm?
    Tseng: Wir verfolgen die Entwicklung seit fünf Jahren und können nur staunen, was das Land in dieser kurzen Zeit auf die Beine gestellt hat. Die staatliche Förderung hat federführend dazu beigetragen, dass China heute in vielen Bereichen Weltklasse ist. Schauen wir uns nur mal die Smartphone-Industrie an: Bis vor wenigen Jahren hatten in China maximal 10 Prozent aller Menschen ein Smartphone, und alle waren von ausländischen Herstellern. Dann hat die Regierung massiv in die Hersteller und 4G-Infrastruktur investiert. Heute gehört China zu den Marktführern bei der Smartphone-Produktion. Es gibt kaum einen Chinesen, der kein Smartphone besitzt. Außerdem stammen 90 Prozent aller Smartphones in China von chinesischen Firmen.
    China hat also erfolgreich aufgeholt?
    Tseng: Mehr als das. China hat die entwickelten Industrieländer weit überholt. Der E-Commerce-Sektor ist in China mittlerweile doppelt so groß wie in den USA.
    Woran liegt das?
    Tseng: Die Chinesen leben immer mehr online. Das klingt erstmal nicht anders im Vergleich zu den entwickelten Industrienationen. Wenn man sich aber vor Ort umschaut, stellt man fest: "Online Leben" hat in China eine völlig andere Dimension als bei uns. Die Chinesen machen mittlerweile faktisch alles über ihr Smartphone. Sie buchen den Tisch im Restaurant. Sie kaufen ihr Mittagessen. Sie bezahlen die Putzfrau. Bargeld ist praktisch ausgestorben.
    Auch US-Unternehmen wie Apple bieten mittlerweile Bezahlsysteme fürs Smartphone an.
    Tseng: Das stimmt. Aber in den Industrienationen besetzen die Tech-Unternehmen alle ihre eigene Nische. Apple produziert Smartphones. Amazon macht Online-Handel. Facebook betreibt Social-Media-Portale. In China dagegen denken die Unternehmen viel größer. Anbieter wie Alibaba oder WeChat bieten ihren Kunden eine Infrastruktur, die alle Anwendungen in einer Plattform bündelt: Bezahlen, Social Media, Internetrecherche. Wer auf WeChat angemeldet ist, der braucht keine anderen Seiten mehr.
    Wie ist es den chinesischen Unternehmen gelungen, ihre Kunden derart an sich zu binden?
    Tseng: Es gibt einfach nicht so viel Wettbewerb wie im Westen. China hat ja praktisch bei null angefangen und dann einen geradezu kometenhaften Aufstieg hingelegt. Es gab nie eine etablierte Offline-Infrastruktur aus lokalen Geschäften und Anbietern, mit denen die Tech-Unternehmen konkurrieren mussten. Die Internetkonzerne konnten den Markt quasi ungebremst übernehmen.
    Welchen Anteil hatten Unternehmer wie Jack Ma an Chinas Erfolg? Der Alibaba-Gründer gilt als Visionär – und extrem ehrgeizig.
    Tseng: Natürlich gehört auch eine große Portion Glück dazu, dass man Menschen wie Jack Ma an der Spitze hat. Der Gründer von Alibaba hat schon immer weit in die Zukunft gedacht. Eine simple E-Commerce-Plattform hat ihm nie gereicht. Er wollte auch die Logistik, Bezahlung und Finanzierung auf einer Plattform steuern und hat seinen Plan dann einfach in die Tat umgesetzt.
    2018 wurde bekannt, dass Alibaba die Daten von Kunden ohne deren Einwilligung dazu genutzt hat, um ihre Kreditwürdigkeit zu bewerten. Im Westen schlug die Nachricht hohe Wellen, in China dagegen blieb es bemerkenswert ruhig. Welche Rolle spielt Datenschutz dort?
    Tseng: Der Westen hat aufgrund der Historie gelernt, dass Daten etwas Sensibles sind und geschützt werden müssen. Es existiert auch ein pauschales Misstrauen gegenüber Internetkonzernen. In China ist das anders. Hier gibt es keine negative Vorgeschichte, weshalb die Menschen von Natur aus weniger Bedenken haben, was den Schutz ihrer Daten angeht. Das hat sicherlich auch dazu beigetragen, dass die Internet-Konzerne so schnell wachsen konnten.
    Müssen die westlichen Länder ihre Standards lockern, um nicht den Anschluss zu verlieren?
    Tseng: Die Welt der IT war schon immer global, während Themen wie Datenschutz vorwiegend ein westliches Phänomen sind. China hat das sehr früh erkannt und entsprechend reagiert. Das heißt aber nicht, dass der Westen die Schlacht schon verloren hat. Technologische Kriege sind immer auch politisch. China ist weit gekommen. Aber das Land stößt immer häufiger auf politische Barrieren, und das nicht nur in den USA: Auch andere Länder überlegen sich mittlerweile sehr genau, von welchem Land sie ihre Technik kaufen. Kommt China den Staaten beim Thema Datenschutz nicht entgegen, dürfte das Land – allen Fortschritts zum Trotz – an seine Grenzen stoßen.

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