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     1699  0 Kommentare Die Menschenblase

    Ich habe keine Ahnung und auch keine Vorstellung, wie das einmal in Zukunft funktionieren soll.

     

    Am Pfingstsonntag auf dem S-Bahnhof: Zwei Elternpaare mit kleineren Kindern, deren Wortschaft sich im Grund genommen auf drei Wörter beschränkte: ich, haben und wollen.

     

    Später dann im Zug eine Mutter mit zwei Töchtern. Die Mädchen lärmen herum in unglaublicher Lautstärke. Als sie dann ihre Fahrräder aus dem Zug befördern sollen, scheitern sie dabei beinahe an ihrer eigenen Ungeschicklichkeit.

     

    Und die Mutter ist komplett überfordert. Hat sich die gesamte Fahrt über vor ihr Handy zurückgezogen, schaut es an und tippt es an, als erwarte sie, dass dort der Heilige Geist erscheinen könnte.

     

    Als ich dann selbst aussteige, sehe ich überall die Werbeplakate. Die Bedürfnisse der Menschen sind doch schon groß genug, doch das reicht anscheinend nicht, man muss immer noch etwas draufsatteln.

     

    Doch wie soll das bei uns in den nächsten Jahrzehnten funktionieren? Und nicht nur bei uns?

     

    Wenn die Bedürfnisse an jedem Tag weiter wachsen, die Kinder jedoch zu signifikanten Teilen zu dämlich sind, ihre Fahrräder geradeaus zu schieben?

     

    Facharbeiter werden aus denen bestimmt nicht. Eher gescheiterte Studenten, denn das Abitur gibt es heute ja beinahe zum Nullouvert. Oder eben Ungelernte.

     

    Und dass Ungelernte so viel konsumieren können und so schick aussehen können, wie die Filmstars, die sie auf ihren Handys anhimmeln, ist eine komplette Unmöglichkeit, die nicht einmal der verschrobenste Linke für realisierbar halten wird.

     

    Und was machen wir nun, außer einem dummen Gesicht?

     

    Aber nein, so weit sind wir ja noch gar nicht. Derzeit blühen ja überall noch die Landschaften. In allen Gegenden, die ich in den letzten Tagen mit dem Rad abgefahren bin, wird gebaut, gebaut und gebaut.

     

    Häuser, Bürogebäude, Läden. Eine riesige Blase. Eine Immobilienblase und eine Menschenblase. Denn wer soll diese Mieten einmal bezahlen, wenn nur eine winzige Kleinigkeit irgendwo passiert, so dass unser Wohlstand einmal temporär etwas angekratzt wird?

     

    Dann platzt die Menschenblase. Dann zeigt sich, wer wirklich tüchtig ist, und wer wirklich etwas kann. Das sind viele. Es werden aber leider immer weniger.

     

    Wir leben derzeit, so mein Eindruck, in einer Weise über unsere Verhältnisse, wie es das sicherlich selten vorher gegeben hat.

     

     

     


    Bernd Niquet
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    DER NEUNTE BAND VON "JENSEITS DES GELDES" IST ERSCHIENEN: Bernd Niquet, Jenseits des Geldes, 9. Teil, Leipzig 2023, 648 Seiten, 23,50 Euro

    Leseprobe: "Jenseits des Geldes".

    Eigentlich war ich vollkommen sicher, dass jetzt die Zeit dieser ganzen Auseinandersetzungen hinter mir lag. Deswegen hatte ich auch extra meine Mietrechtschutzversicherung gekündigt. Dann habe ich aber doch einmal in die Betriebskostenabrechnung hineingeschaut und musste unwillkürlich rechnen. 29.220 Euro im Jahr 2018 für die Reinigung der Treppen und Flure, das sind 93 Euro pro Haus pro Woche. Ich würde das jeweils in zehn Minuten schaffen, doch selbst wenn die ungelernte Hilfskraft zwanzig Minuten braucht, sind das 279 Euro Stundenlohn, den die Leiharbeitsfirma dafür einfährt. Wer dabei nicht an Sizilien denkt, kann eigentlich nicht mehr voll bei Verstand sein.

    Bernd Niquet ist Jahrgang 1956 und wohnt immer noch am letzten grünen Zipfel der Failed Stadt Berlin. Die ersten acht Teile von „Jenseits des Geldes“ sind ebenfalls im Engelsdorfer Verlag erschienen, und zwar in den Jahren 2011, 2012, 2013 sowie 2018, 2019, 2020, 2021 und 2022.

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    Verfasst von Bernd Niquet
    Die Menschenblase Auch diese Blase wird platzen