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     805  2 Kommentare Jedem einen Einlauf!

    Ich weiß nicht, ob ich so etwas schon erlebt habe? Früher sind die Märkte ja schon abgeschmiert, wenn Alan Greenspan nur gehustet hat. Heute jedoch redet der Fed-Chef Jerome Powell am Sonntag davon, dass die Wirtschaftsleistung in den USA um 30 Prozent zurückgehen könnte, doch am Montag haussieren dann die Aktien.

     

    Aber natürlich, ich verstehe schon, die Märkte kriegen ja auch wieder einen Einlauf. So wird jede schlechte Nachricht zu einer guten. Der Patient ist sehr krank, doch er kriegt wieder einen Einlauf. Juchhu!

     

    Woran erinnert das? Es erinnert an den Roman „Gegen den Strich“ des genialen Joris-Karl Huysmans. Und dieses Buch ist aus dem Jahr 1884. Es ist also durchaus nicht neu, was heute passiert. Wenn auch die Verrücktheiten, die früher hinter verschlossenen Türen geblieben sind, heute sofort nach außen transportiert werden.

     

    Heute bekommt jeder einen Einlauf. Juchhu!

     

    Unsere Kanzlerin will jetzt gleich 3 Billionen Euro für Corona ausgeben. 500 Milliarden im neuen Programm mit Macron, 500 Milliarden durch die vorher schon von den EU-Finanzministern versprochenen Hilfen, plus eine Billion aus dem Haushalt für sieben Jahre und noch einmal eine Billion an nationalen Maßnahmen.

     

    Für die USA wären 3 Billionen natürlich nur Peanuts, weil in den USA schon !Milliarden Billions sind. Dort müssen es dann schon Trillions sein. Aber da komme ich nicht mehr mit.

     

    Ich komme ohnehin nicht mehr mit, denn ich kenne niemanden und lese auch von niemandem, der nicht daran glaubt, dass die Märkte noch einmal heftig einknicken werden. Gestritten wird nur darüber, ob wir noch einmal neue Tiefststände sehen werden oder nicht.

     

    Das ist wirklich bizarr. Vielleicht sind ja meine Beobachtungen und die Berichterstattung über die Märkte total einseitig, dass also nur über die eine Marktseite berichtet wird, doch wenn dem nicht so ist, fragt sich: Wer kauft jetzt eigentlich Aktien zu steigenden Preisen, wenn er doch eigentlich glaubt, dass sie bald fallen?

     

    Irgendetwas passt hier also nicht. Aber es passt ja derzeit sowieso nichts. Können Einläufe benebeln? Oder stehen wir jetzt vielleicht vor einer ganz neuen Zeit?

     

    Ab jetzt bekommt die ganze Welt einen Einlauf. Juchhu!

     

    Was mich auf die Analogie zu „Gegen den Strich“ zurückbringt. Dort lebt der adelige Held, Des Esseintes, ein derart extremes Leben, dass sein Körper bald streikt und er keine Nahrung mehr zu sich nehmen kann. Als einzige Lösung bleibt daher das, was heute eben schon überall praktiziert wird. Es wird jedoch standesgemäß wie in einem Restaurant mit einer Menükarte angekündigt: 20g Lebertran, 200g Rindersaft, 200g Burgunder, 1 Eigelb.

     

    Und dazu heißt es im Buch: „Jetzt hatte Des Esseintes die höchste Erfüllung gefunden; weiter konnte man nicht gehen; die auf diesem Wege absorbierte Nahrung war der Gipfel der Abirrung.“

     

    Und das ist doch auch genau das, was unser heutiges System aus Politik, Wirtschaft und Finanzen charakterisiert. Weiter kann man nicht gehen, der Gipfel der Abirrung ist erreicht.

     

    Doch welche Alternative gibt es? Ich weiß keine.

     

    Lassen wir also einfach den wunderbaren letzten Satz dieses wunderbaren Buches in Ruhe auf uns wirken. Er lautet: „Herr, hab Mitleid mit dem Sträfling des Lebens, der sich nachts aufmacht, allein unter dem Firmament, das nicht mehr erleuchtet wird von den Trostfackeln der alten Hoffnung!“

     

    Und genauso isses doch, denke ich.

     

     

    berndniquet@t-online.de

     


    Bernd Niquet
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    DER NEUNTE BAND VON "JENSEITS DES GELDES" IST ERSCHIENEN: Bernd Niquet, Jenseits des Geldes, 9. Teil, Leipzig 2023, 648 Seiten, 23,50 Euro

    Leseprobe: "Jenseits des Geldes".

    Eigentlich war ich vollkommen sicher, dass jetzt die Zeit dieser ganzen Auseinandersetzungen hinter mir lag. Deswegen hatte ich auch extra meine Mietrechtschutzversicherung gekündigt. Dann habe ich aber doch einmal in die Betriebskostenabrechnung hineingeschaut und musste unwillkürlich rechnen. 29.220 Euro im Jahr 2018 für die Reinigung der Treppen und Flure, das sind 93 Euro pro Haus pro Woche. Ich würde das jeweils in zehn Minuten schaffen, doch selbst wenn die ungelernte Hilfskraft zwanzig Minuten braucht, sind das 279 Euro Stundenlohn, den die Leiharbeitsfirma dafür einfährt. Wer dabei nicht an Sizilien denkt, kann eigentlich nicht mehr voll bei Verstand sein.

    Bernd Niquet ist Jahrgang 1956 und wohnt immer noch am letzten grünen Zipfel der Failed Stadt Berlin. Die ersten acht Teile von „Jenseits des Geldes“ sind ebenfalls im Engelsdorfer Verlag erschienen, und zwar in den Jahren 2011, 2012, 2013 sowie 2018, 2019, 2020, 2021 und 2022.

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    Verfasst von Bernd Niquet
    Jedem einen Einlauf! Billionen, Trillionen, wer bietet mehr?