Strategien
Das du-Dilemma in Unternehmen - zwischen Start-Up und Biedermann - Seite 2
Die Frage nach der du/Sie-Adressierung regelt hierbei das grundlegende menschliche Verhältnis von Nähe und Distanz, mit der wir uns in der sozialen Welt bewegen. Während Sie Ferne und Hierarchie, was viele mit Professionalität verbinden, verkörpert, steht du für Nähe und Mitgefühl, was wir schnell als Vertrautheit und Informalität bewerten. In beruflichen Kommunikationssituationen wird dies von vielen Mitarbeitenden oder Kunden noch abgelehnt, gerade bei der älteren (und teilweisen weniger medienaffinen) Generation 55+. Ebenso bereits konventionalisierte Formeln wie Liebe/r, Hallo X oder Viele Grüße, X werden kritisch beäugt – auch von jüngeren Zielgruppen.
Sie vs. du sagt also viel mehr über das Unternehmen bzw. den Kollegen aus, als wir denken. Die Wahl der Ansprache verweist nämlich auf die grundlegende Einstellung des Senders in Bezug auf Loyalität gegenüber scheinbaren Normen und Hierarchien, was wir als Angemessenheit/Seriosität empfinden oder wie nah wir andere an uns heranlassen möchten. Dies hängt natürlich nicht nur mit dem Alter zusammen, sondern weitere Parameter wie persönliche Erfahrungen und Werte, soziales Umfeld oder Erziehung prägen die Ausdrucksentscheidung mit. Außerdem enthält die Wahl der Ansprache wichtige Indikatoren, welche die Beziehung zwischen Sender und Empfänger enttarnt (Vertrautheit, Sympathie, Wertschätzung oder Distanzierungswunsch). Wir sollten hier also ein wenig stärker hinhören oder -lesen.
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Best oder Bad Practices?
Die direkte Anrede (du) kennen wir bereits seit Jahren vom schwedischen Möbelhaus Ikea, das seit dem Eintritt in den deutschen Markt 1974 die Mitarbeitenden dutzt, um strenge Hierarchien
zu vermeiden, und dies seit einigen Jahren auch auf die Kunden überträgt: wohnst du noch oder lebst du schon? In der direkten Kommunikation (face-to-face) und bei sensiblen Themen
wie der Reklamation werden Kunden jedoch noch gesiezt. Die du-Policy ist auch bei amerikanischen Unternehmen wie Starbucks, Accenture und neuerdings bei den deutschen Firmen Lidl oder dem
Versandhaus Otto als Teil dessen Projektes Kulturwandels 4.0. üblich. Bei Otto wird dies auf freiwilliger Basis gehandhabt, auch in Bewerbungsgesprächen wird geduzt. Sprache und Kommunikation
sollen also auf der einen Seite anregen und bewegen, müssen jedoch in einem professionellen Umfeld der expertenbehafteten beruflichen Kommunikation gewisse Standards erfüllen, etwa seriös und
profunde Informationen vermitteln. Wie kann man sich hier nun zurechtfinden?