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     3235  0 Kommentare Es wird Zeit...

    ... sich noch etwas ernsthafter Gedanken zu machen, wie es um die mittelfristigen Aussichten der Aktienmärkte bestellt ist. Die Erhöhung der amerikanischen Leitzinsen läutet eine neue Ära ein. In langen Zeitabschnitten der im März 2003 in den breiten Märkten losgetretenen Rallye liefen viele Anlageklassen synchron, die in „normalen Zeiten“ eher gegenläufig unterwegs sind.

    Durch die überreichliche Versorgung der Wirtschaft mit Liquidität wurden normale Preisbildungsprozesse an den Finanzmärkten zeitweise ausgehebelt. Es war genug Geld da, um an verschiedenen Stellen Blasen entstehen zu lassen. Blasen an den Asset-Märkten sind dadurch gekennzeichnet, dass sich ihre Preisentwicklung von den fundamentalen Gegebenheiten abkoppelt. Finanzmärkte neigen dazu, einmal etablierte Trends auszureizen und zu überdehnen.

    Wenn Liquidität allmählich teurer wird, koppeln sich die Einzeltrends wieder stärker voneinander ab. Diejenigen, die hauptsächlich durch Liquidität getrieben wurden, gehen zu Ende, die fundamentalen Gegenebenheiten rücken stärker ins Blickfeld.

    Das bedeutet insbesondere für die Aktienmärkte nichts Gutes.

    Das ECRI-Institut hat kürzlich den Trend der hauseigenen Weekly Leading Indicators (WLI) untersucht. Dessen geglättete jährliche Wachstumsrate lag noch Mitte April bei neun Prozent. Von da an fiel sie kontinuierlich auf zuletzt noch 2,2 Prozent. Die WLI laufen Wendepunkten in der Wirtschaft ungefähr acht Monate voraus. Sie hatten sich im gesamten Zeitraum zwischen August 2003 und März 2004 auf einem Niveau von rund 12 Prozent gehalten. Der WLI setzt sich aus zahlreichen Einzelindikatoren zusammen. Der zu beobachtende Trend basiert auf einem breit angelegten Rückzug nahezu aller Komponenten, angefangen vom Arbeitsmarkt über die Entwicklung der Renditen bis hin zu den Rohstoffpreisen.

    Bill Gross, Managing Director bei der weltgrößten Kapitalanlagegesellschaft Pimco, vertritt in seinem jüngsten Investment-Outlook einmal mehr die Ansicht, dass das Ungleichgewicht der globalen Wirtschaft in den vergangenen 25 bis 30 Jahren niemals größer war. Der Fall von Bretton Woods, der Aufstieg der OPEC und die Halbierung des amerikanischen Aktienmarktes seien nur die Vorboten gewesen.

    Gross spielt auf den Schuldenberg in den USA an, der mit insgesamt 35 Bill. Dollar aktuell drei mal so groß ist wie das amerikanische Bruttoinlandsprodukt. Das Handelsbilanzdefizit in Höhe von 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts führt nach Gross zu einer Dollar-Abwertung, die wiederum ab einer bestimmten Größenordnung und Nachhaltigkeit finanzielle und wirtschaftliche Friktionen bewirkt. Heutzutage ist über die Hälfte der Schulden der öffentlichen Hand in ausländischem Besitz. Die Kreditgeber wollten natürlich über höhere Zinsen einen monetären Ausgleich für Währungsverluste. Das reißt eine Kluft auf zu den künstlich niedrigen Leitzinsen, mit denen die gegenwärtige wirtschaftliche Erholung fast schon erzwungen wurde.

    Die Zinsschraube in dieser Situation zur Normalität zurückzudrehen, sei ein sehr delikates Geschäft, meint Gross. Leicht könne dabei gewaltiger Schaden entstehen und wirtschaftliches Ungleichgewicht zu Schieflagen globalen Ausmaßes führen. Nicht nur der Immobiliensektor, sondern auch die Profite des Finanzsektors, die mittlerweile 40 Prozent der gesamten Unternehmensgewinne in den USA ausmachen, stehen im Risiko. Aktienmarkt, Kurs-Gewinn-Verhältnisse und Papier-basiertes Wohlergehen hängen auf Gedeih und Verderb von dauerhaft niedrigen Kosten der exzessiven Schuldenmacherei der vergangenen Jahre ab, argumentiert Gross.

    Ein dritter Aspekt betrifft die Globalisierung und die hierdurch mit verursachten deflationären Tendenzen in der Weltwirtschaft. Seit dem zweiten Weltkrieg wuchsen die Unternehmensgewinne in den entwickelten Industrienationen bis in die späten 1980er von Jahr zu Jahr deutlich, und zwar in der Regel synchron zum nominalen Bruttoinlandprodukt. Waren es in diesem Zeitraum so jährlich rund sieben Prozent, ist in der heutigen, weitgehend inflationsfreien Phase nur mit ein bis höchstens zwei Prozent Gewinnwachstum pro Jahr zu rechnen. Marktbeobachter erwarten aber immer noch deutlich höhere Raten. In den USA werden auf Sicht der kommenden fünf Jahre über 10 Prozent pro Jahr angesetzt, in Europa sind es immerhin noch über 6 Prozent. Spricht sich die Kluft zwischen Erwartung und Realität erst einmal herum, ist es mit nachhaltig steigenden Aktienkursen vorbei.

    Die angerissenen Gedankengänge werden in zwei Artikeln vertieft, die hier verfügbar sind (Unterseite „Wissen“). Sie sind auch Gegenstand der Überlegungen in einem neuen Buch. „Weltsichten – Weitsichten“ von Robert Rethfeld und Klaus Singer erscheint in Kürze in FinanzBuch Verlag. Informationen z. B. hier.



    Klaus Singer
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    Das Buch von Robert Rethfeld und Klaus Singer: Weltsichten - Weitsichten. Ein Ausblick in die Zukunft der Weltwirtschaft.
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    Verfasst von Klaus Singer
    Es wird Zeit... ... sich noch etwas ernsthafter Gedanken zu machen, wie es um die mittelfristigen Aussichten der Aktienmärkte bestellt ist. Die Erhöhung der amerikanischen Leitzinsen läutet eine neue Ära ein. In langen Zeitabschnitten der im März 2003 in den …