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     3599  0 Kommentare Die schwachen Hände

    Gestern habe ich mit Dietmar telefoniert. Dietmar liest hier bestimmt nicht, deswegen kann ich das schreiben. Ich wusste gar nicht, dass Dietmar überhaupt weiß, was eine Aktie ist. Doch jetzt guckt Dietmar sogar jede Stunde einmal in das Börsenfernsehen. „Bloomberg Deutschland, weißt du? Kennst du ja bestimmt.“ Und: „Zum Glück sendet jetzt auch n-tv wieder regelmäßig von der Börse.“ Hatten die überhaupt ausgesetzt? Ich weiß es nicht, denn über meine d-box von Premiere kann ich sie nicht einmal mehr empfangen.

    Gestern hat Dietmar seine Aktien verkauft. „Da waren so schlechte Zahlen“, erzählt er mir, „dass der Dax richtig in die Knie gegangen ist. Es wäre natürlich besser, wenn ich gestern schon verkauft hätte, doch in Amerika, haben sie gesagt, sollen die Zahlen noch schlechter werden.“

    Natürlich macht Dietmar keinen Markt. Und natürlich ist das auch nichts Besonderes, was ich hier schildere. Es hat nur einfach jemand etwas verkauft. Und im Gegenzug ist jemand eingestiegen. Doch so anschaulich habe ich das selten erlebt, wie die schwachen Hände im Markt herumgeschaukelt werden. Mal sehen, wann Dietmar wieder kauft. Wahrscheinlich dann, wenn sie 200 Punkte weiter oben im Fernsehen sagen, dass jetzt in Deutschland und Amerika gute Zahlen erwartet werden.


    berndniquet@t-online.de

    Bernd Niquet
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    DER NEUNTE BAND VON "JENSEITS DES GELDES" IST ERSCHIENEN: Bernd Niquet, Jenseits des Geldes, 9. Teil, Leipzig 2023, 648 Seiten, 23,50 Euro

    Leseprobe: "Jenseits des Geldes".

    Eigentlich war ich vollkommen sicher, dass jetzt die Zeit dieser ganzen Auseinandersetzungen hinter mir lag. Deswegen hatte ich auch extra meine Mietrechtschutzversicherung gekündigt. Dann habe ich aber doch einmal in die Betriebskostenabrechnung hineingeschaut und musste unwillkürlich rechnen. 29.220 Euro im Jahr 2018 für die Reinigung der Treppen und Flure, das sind 93 Euro pro Haus pro Woche. Ich würde das jeweils in zehn Minuten schaffen, doch selbst wenn die ungelernte Hilfskraft zwanzig Minuten braucht, sind das 279 Euro Stundenlohn, den die Leiharbeitsfirma dafür einfährt. Wer dabei nicht an Sizilien denkt, kann eigentlich nicht mehr voll bei Verstand sein.

    Bernd Niquet ist Jahrgang 1956 und wohnt immer noch am letzten grünen Zipfel der Failed Stadt Berlin. Die ersten acht Teile von „Jenseits des Geldes“ sind ebenfalls im Engelsdorfer Verlag erschienen, und zwar in den Jahren 2011, 2012, 2013 sowie 2018, 2019, 2020, 2021 und 2022.

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    Verfasst von Bernd Niquet
    Die schwachen Hände Gestern habe ich mit Dietmar telefoniert. Dietmar liest hier bestimmt nicht, deswegen kann ich das schreiben. Ich wusste gar nicht, dass Dietmar überhaupt weiß, was eine Aktie ist. Doch jetzt guckt Dietmar sogar jede Stunde einmal in das …