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     2869  0 Kommentare Was wirklich passiert ist


    Hypo Real Estate revisted

    Jetzt ist also doch noch alles gekommen wie im negativsten Szenario. Steht uns nun Unvorstellbares bevor oder übertreibt die Börse jetzt? Man kann nur rätseln. Meine Meinung ist: Wir befinden uns im Zustand einer kollektiven Psychose. Die Angst nährt die Angst, nährt die Angst. Entscheidend ist jetzt für mich, ob der Patient, der unter einem akuten psychotischen Anfall leidet, das Messer, das er in der Hand hält, gegen sich selbst richtet und sich selbst verletzt. Denn nur dann wird aus einer Wahrnehmungsstörung auch ein Realverlust.

    Will sagen: Sollte die augenblickliche Situation dazu führen, dass wir eine herbe Wirtschaftskrise bekommen, dann ist der gegenwärtige Kursrutsch gerechtfertigt und die Zukunft sieht bitter aus. Sollte das jedoch nicht passieren, dann haben wir es mit einer Übertreibung zu tun. Und ich gebe zu bedenken, dass niemals zuvor in der Geschichte die Geldpolitik so expansiv war wie gegenwärtig. Jeder, der auch nur ein bisschen an die Wirkung von Geldmengenveränderungen glaubt, müsste jetzt eigentlich ein Bulle werden. Dass das jedoch nicht passiert, deutet aus meiner Sicht auf die psychotische Variante hin.

    Und noch etwas weist diesen Weg. Liest man die Presse und die Medien, hat man den Eindruck, nur noch von Volltrotteln umgeben zu sein. Bei der Hypo Real Estate – nur Dilettanten am Werk. Verbrecher. Unfähige. Totalpleite. Alles verloren. Ich habe jetzt ein paar Hintergrundinformationen bekommen, wie es zu dem „neuen“ Finanzloch gekommen ist:

    Bei einem Geschäft der Depfa mit nahezu ausfallsicheren Anleihen wie Schuldverschreibungen von US-Kommunen gab es Liquiditätsfaszilitäten, die den Käufern der Depfa-Papiere eine Rückgabe gegen Bargeld garantierten, wenn die Bonitätseinschätzung der Depfa selbst sich negativ verändert. Und genau das ist durch die öffentliche Diskussion einer möglichen Pleite passiert. So führt also die eine Krise zur nächsten Krise. Die Liquidität der Depfa ist damit zunichte, doch an der Werthaltigkeit der Aktiva besteht kaum ein Zweifel. Es hat nur einen Tausch von Cash gegen derzeit weitgehend nicht handelbare Papiere gegeben. Und die „Rettung“ bestand nun darin, dass die stützenden Geschäftsbanken eine Kreditlinie bereit gestellt haben gegen die Verpfändung der zum großen Teil sogar notenbankfähigen Sicherheiten.

    Das alles klingt völlig anders als das, was wir im Medienkrawall der Augenblicks vernehmen. Darum bilde sich jeder seine eigene Meinung, ob er nun kauft, verkauft oder an der Seitenlinie bleibt. Ja, jeder bilde sich seine eigene Meinung, doch er verschließe die Augen und Ohren vor dem Gequatsche des Nebenmannes. Denn der plappert ohnehin nur das weiter, was der Nebenmann vom Nebenmann vernommen hat.

    Und wieder einmal scheint der alte Kostolany Recht zu haben. An der Börse braucht man – und in der Krise im Besonderen – die drei großen G´s. Geld, Geduld und Gedanken. Geld ist derzeit im Übermaß vorhanden. Die Geduld hingegen scheint deutlich überstrapaziert. Und die Gedanken? Sie sind da, aber sie sind gebunden und keineswegs frei. Sie sind alle in kollektiver Weise gebündelt. Wobei das natürlich völliger Unsinn ist, was ich im letzten Satz geschrieben habe, da ja jedem Verkauf immer ein Kauf gegenübersteht. Manchmal jedoch muss man den Unsinn auch aussprechen, um ihn als solchen zu erkennen.

    Die Pessimisten und die Optimisten entsprechen sich also auch heute, wie an jedem anderen Tag auch. Doch sie finden eben nur noch bei immer tieferen Kursen zueinander.



    Bernd Niquet
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    DER NEUNTE BAND VON "JENSEITS DES GELDES" IST ERSCHIENEN: Bernd Niquet, Jenseits des Geldes, 9. Teil, Leipzig 2023, 648 Seiten, 23,50 Euro

    Leseprobe: "Jenseits des Geldes".

    Eigentlich war ich vollkommen sicher, dass jetzt die Zeit dieser ganzen Auseinandersetzungen hinter mir lag. Deswegen hatte ich auch extra meine Mietrechtschutzversicherung gekündigt. Dann habe ich aber doch einmal in die Betriebskostenabrechnung hineingeschaut und musste unwillkürlich rechnen. 29.220 Euro im Jahr 2018 für die Reinigung der Treppen und Flure, das sind 93 Euro pro Haus pro Woche. Ich würde das jeweils in zehn Minuten schaffen, doch selbst wenn die ungelernte Hilfskraft zwanzig Minuten braucht, sind das 279 Euro Stundenlohn, den die Leiharbeitsfirma dafür einfährt. Wer dabei nicht an Sizilien denkt, kann eigentlich nicht mehr voll bei Verstand sein.

    Bernd Niquet ist Jahrgang 1956 und wohnt immer noch am letzten grünen Zipfel der Failed Stadt Berlin. Die ersten acht Teile von „Jenseits des Geldes“ sind ebenfalls im Engelsdorfer Verlag erschienen, und zwar in den Jahren 2011, 2012, 2013 sowie 2018, 2019, 2020, 2021 und 2022.

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    Verfasst von Bernd Niquet
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