Die Finanzmärkte verniedlichen den Brexit, die deutsche Industrie nicht - Seite 2
Konjunkturell muss Deutschland mehr sein als der Einäugige unter den wirtschaftlich Blinden
Die vermeintlich robuste deutsche Wirtschaft darf nicht überschätzt werden. Das Wachstum im II. Quartal lag im Vorjahresvergleich zwar bei 1,8 Prozent. In früheren Zeiten galt jedoch erst ein BIP-Anstieg von zwei Prozent als bedeutsam. Die Eurosklerose, Schwellenländer, die sich in puncto Wirtschaftswachstum normalisieren und die USA, die früher wesentlich robustere Wirtschaftsaufschwünge aufwiesen, stellen Handicaps für die deutsche Exportlandschaft dar.
Insofern ist Deutschland gezwungen, seine Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, um weltkonjunkturell konkurrenzfähig zu bleiben. Es geht um die Fortsetzung der Agenda 2010-Reformen, aber auch beherzte Infrastrukturinvestitionen, die zu Nachfolgeinvestitionen der Privatwirtschaft führen. Im Übrigen ist der Prozess der zunehmenden Vernetzung und Digitalisierung, der in den USA und Asien wirtschaftspolitisch dramatisch vorangetrieben wird, auch in Deutschland eine politische Bringschuld. Sich auf den Lorbeeren der aktuell sicherlich noch guten deutschen Industrie auszuruhen, ist fatal.
Derzeit schwache Unternehmensinvestitionen in Deutschland unterstreichen diese insgesamt in die falsche Richtung laufende Entwicklung
Aktuelle Marktlage und Anlegerstimmung – Immerhin Beruhigung an den Nebenkriegsschauplätzen der deutschen Industrie
Für Entspannung in der deutschen Industrielandschaft sorgt die Einigung im Lieferstreit zwischen VW und den Zulieferern der Prevent-Gruppe. Hierdurch wurden negative Rückkopplungseffekte durch Produktionsausfälle auf weite Teile des deutschen Mittelstands – rund 500 Lieferanten hängen an der Produktionskette von VW – verhindert.
Bemerkenswert ist, dass VW den Lieferkonflikt durch umfängliche Zugeständnisse an Prevent – Verzicht auf Schadensersatz, teilweise Rücknahme der Kündigung einer Großkooperation, Zusammenarbeit um sechs Jahre verlängert – auf eigene Kosten beigelegt hat. Schließlich hätten länger andauernde Produktionsausfälle Reputationsrisiken und Umsatzeinbußen bedeutet, wenn potenzielle Kunden zu anderen Autoherstellern abwanderten. Und angesichts des Abgasskandals besteht in Wolfsburg ohnehin kein Interesse an einer zusätzlichen Krise auf industrielogistischer Ebene.