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    Fipronil-Skandal weit größer als gedacht  1209  0 Kommentare Niedersachsens Landwirtschaftsminister: „100 Millionen Eier belastet“ – Verunreinigte Lebensmittel noch im Handel

    Das Ausmaß des Skandals um Hühnereier, die mit dem Läusegift Fipronil belastetet sind, ist in Deutschland offenbar weit größer als gedacht. „Es ist davon auszugehen, dass nach Deutschland rund 100 Millionen belastete Eier gelangt sind“, sagte Niedersachsens Landwirtschaftsminister Christian Meyer (Grüne) der WirtschaftsWoche.

    Bislang ging die höchste bekannte Schätzung von bis zu 30 Millionen Eiern aus, die vernichtet wurden. Allein in Niedersachsen, dem größten Eierproduzenten der Bundesrepublik, habe es bislang 18 stille Rückrufe von Lebensmitteln gegeben, große Mengen an verarbeiteten Ei-Produkten seien gesperrt worden.


    Laut Meyer sind demnach nicht alle mit Fipronil verunreinigten Eier auch vernichtet worden. Ein Großteil sei in anderen Produkten verarbeitet worden und immer noch im Handel. „Diese Produkte sind teilweise noch mehr als ein Jahr haltbar. Di e Belastung mit Fipronil bleibt also“, so Meyer. „Laut Bundesagrarministerium kann man ein zu hoch mit Fipronil belastetes Ei soweit verarbeiten und verdünnen, bis im Endprodukt der EU-Grenzwert nicht mehr überschritten wird. In der Lesart des Bundes kann ich also aus einem fünfmal zu hoch belasteten faulen Ei, das für sich genommen nicht verkehrsfähig ist, einfach einen Kuchen backen mit einem Eianteil unter einem Fünftel und diesen dann ganz legal verkaufen“, so Meyer. Deshalb hätten viele Herstelle ihre belasteten Ei-Produkte nie aus dem Handel genommen.


    Grundlage dafür ist eine rechtliche Einschätzung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), die der WirtschaftsWoche vorliegt. Demnach gilt für rohe Eier ein strenger EU-Grenzwert von 0,005 Milligramm Fipronil pro Kilogramm Ei, die sogenannte Bestimmungsgrenze. Ein darüber belastetes Ei gilt nicht mehr als verkehrsfähig. Bei verarbeiteten Ei-Produkten ist das ander s. „Für den Fall, dass Fipronil im verarbeiteten Erzeugnis nicht mehr bestimmt werden kann […] greift das Verkehrsverbot nach §9 Absatz 1 Nummer 3 LFGB für das verarbeitete eihaltige Erzeugnis nicht“, schreibt das BMEL.


    „Aus meiner Sicht drängt sich doch sehr der Eindruck auf, dass es sich dabei um eine Gefälligkeit für einzelne Wirtschaftsunternehmen handelt“, sagte Meyer der WirtschaftsWoche weiter. „Denn schließlich erspart ja ein solches Vorgehen den großen Lebensmittel-Produzenten, Millionen Eier und Ei-Produkte zu vernichten. Auf Grundlage der Einschätzung aus Berlin, die aus niedersächsischer Sicht rechtswidrig ist, drohten uns nun große namhafte Hersteller, deren Produkte gesperrt worden sind, gar mit Klagen.“


    Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU), sagte der WirtschaftsWoche dazu: „Der Bund hat auf Wunsch der Bundesländer seine Auffassung des einschlägigen EU-Rechts mitgeteilt, dem sich dann übrigens a lle Bundesländer, einschließlich Niedersachsen, angeschlossen haben.“ Es seien die Länder, die darüber entschieden, ob ein Rechtsverstoß vorliege, aufgrund dessen Maßnahmen einzuleiten seien.


    Fipronil-Skandal: Niedersachsen kritisiert Krisenmanagement des Bundes - Bundesagrarminister Schmidt kündigt europaweite Maßnahmen an.

    Niedersachsen, das größte Eier-produzierende Land der EU, erhebt im Skandal um mit Fipronil belastete Eier, schwere Vorwürfe gegen die Bundesregierung. Es habe vielerlei Schwierigkeiten im Umgang mit dem Bundesagrarministerium gegeben, sagte Niedersachsens Landwirtschaftsminister Christian Meyer (Grüne) der WirtschaftsWoche. „Da hat der Bundesminister wochenlang nicht reagiert und sprach von regionalem Geschehen. Es war sehr schwierig, mit dem Berliner Landwirtschaftsministerium zusammenzuarbeiten“, so Meyer. Sein Land etwa habe sich sehr früh entschlossen, betroffene Eier-Codes zu veröffentlichen, auch aus den Niederlanden. Das Bundesministerium habe sich dagegen gesträubt, sehe bis heute keine Gesundheitsgefahr, während er zumindest von einer Gefährdung von Kindern ausgehe. „Von Anfang an hat bundesweit eine koordinierende Hand gefehlt. Wir Länder fühlten uns da v om Bund ziemlich im Stich gelassen“, sagte Meyer.


    Er plädiert daher im Interview mit der WirtschaftsWoche für eine europäische Lebensmittelkontrolle. „Die Zusammenarbeit in Deutschland war schlecht, aber auch zwischen Belgien und den Niederlanden gab es Streit – zu Lasten der Verbraucher“, so Meyer. „Da würde ich mir eine starke, koordinierende EU wünschen, die einheitliche Grenzwerte, Rückrufe und Kontrollen festlegt. Eine Europol Verbraucher- und Lebensmittelschutz wäre auch unabhängiger von Unternehmensinteressen.“ Der Verbraucherschutz sei bislang mit dem gemeinsamen europäischen Binnenmarkt nicht mitgewachsen. „So ist der nächste Lebensmittelskandal programmiert“, sagte Meyer.
    Beim CSU-geführten Bundeslandwirtschaftsministerium hält man die Idee einer europäischen Lebensmittelpolizei für nicht praktikabel. „Haltlose – und mit dem EU-Recht unvereinbare – Forderungen bringen uns nicht weiter“, sagte Bundesagrarmini ster Christian Schmidt (CSU) der WirtschaftsWoche: „Die Bundesländer sind für die Durchführung der Lebensmittelüberwachung zuständig. Es sind die zuständigen Länderbehörden, die darüber entscheiden, ob ein Rechtsverstoß vorliegt und aufgrund dessen Maßnahmen einzuleiten sind.“ Das Fipronil-Geschehen habe aber deutlich gemacht, dass der Informationsfluss auf EU-Ebene weiter verbessert werden müsse. „Deshalb haben wir gemeinsam mit Frankreich, Belgien, den Niederlanden und Österreich die Initiative ergriffen, ein gemeinsames Papier mit Lösungsvorschlägen erarbeitet und dieses Konzept mit konkreten Maßnahmen der EU-Kommission vorgelegt.“

    Dieser Beitrag erschien der WirtschaftsWoche am 17.11.2017.





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