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     1580  1 Kommentar Bella Italia: Das sind doch nur die Übergangswirren!

    Bei uns in Berlin muss man gegenwärtig ja nicht einmal den Fernseher einschalten oder das Fenster öffnen, um ein Gefühl von Italien zu bekommen. So heiß und stickig ist es überall.

     

    Wir verdorren, doch daraus wird hier und heute kein Mezzogiorno, sondern ist ein 24/7 geworden. Wir arbeiten nicht nur den halben Tag, sondern rund um die Uhr. Und schlagen mit unserem Fleiß eine tiefe Wunde in die EU.

     

    Auf der Internetseite einer großen Tageszeitung hat ein Leser zur gegenwärtigen Italienkrise den folgenden Satz hinterlassen: Wir werden sowieso bald von Afrika überrollt, das sind das jetzt nur die Übergangswirren.

     

    Ich halte das zwar für Quatsch, doch das Wort „Übergangswirren“ ist wunderbar. Wunderbar inspirierend.

     

    Wann hat in Italien eigentlich zum letzten Mal jemand regiert, der auch vom Volk gewählt wurde? Das war sicherlich Berlusconi, ansonsten gab es ja nur die inthronisierten Technokraten. Wahrscheinlich sind die wirklich Wirren die Menschen, denen man das andauernd zumutet. Das alles ist ja auch alles mehr als verwirrend.

     

    Ich muss derzeit ständig an die Hindenburgschen Notverordnungen denken. An das Kabinett der Barone. Und wie Hindenburg über lange Jahre vergebens versucht hat, Regierungen gegen die Mehrheit der Nationalsozialisten im Parlament zu bilden.

     

    Und weitere Übergangswirren: Das Szenario des Austritts Italiens aus dem Euro ist jetzt schon so lange auf dem Tapet, dass es mich wundern würde, wenn man nicht …, aber nein, es gibt bestimmt keinen Plan für diese Situation.

     

    Ich habe auch keine Ahnung, was dann wäre. Dann sind große Teile unserer Target-Milliarden weg. Doch wen interessiert das überhaupt?

     

    Und was wäre dann eigentlich mit dem EZB-Bilanz? Oder, die Frage umgedreht: Wie soll ein Land, das aus dem Euro aussteigt und eine neue Währung einführt, die permanent abwertet, seine Anleihen in Euro zurückzahlen? Das geht gar nicht. Doch, es geht, durch Kredite der Notenbank.

     

    Wobei man natürlich leise schmunzeln muss.

     

    Bei diesen ganzen nahezu unlösbaren Problemen kommt plötzlich eine ganz andere Frage in meinen Kopf: Wie war das eigentlich überhaupt möglich, dass wir so weit gekommen und so reich geworden sind, wie das heute der Fall ist?

     

    Irgendwie scheint Geschichte immer anders zu funktionieren als die Zeitungsschreiber und Börsianer das vorher denken. Und nicht nur die.

     


    Bernd Niquet
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    DER NEUNTE BAND VON "JENSEITS DES GELDES" IST ERSCHIENEN: Bernd Niquet, Jenseits des Geldes, 9. Teil, Leipzig 2023, 648 Seiten, 23,50 Euro

    Leseprobe: "Jenseits des Geldes".

    Eigentlich war ich vollkommen sicher, dass jetzt die Zeit dieser ganzen Auseinandersetzungen hinter mir lag. Deswegen hatte ich auch extra meine Mietrechtschutzversicherung gekündigt. Dann habe ich aber doch einmal in die Betriebskostenabrechnung hineingeschaut und musste unwillkürlich rechnen. 29.220 Euro im Jahr 2018 für die Reinigung der Treppen und Flure, das sind 93 Euro pro Haus pro Woche. Ich würde das jeweils in zehn Minuten schaffen, doch selbst wenn die ungelernte Hilfskraft zwanzig Minuten braucht, sind das 279 Euro Stundenlohn, den die Leiharbeitsfirma dafür einfährt. Wer dabei nicht an Sizilien denkt, kann eigentlich nicht mehr voll bei Verstand sein.

    Bernd Niquet ist Jahrgang 1956 und wohnt immer noch am letzten grünen Zipfel der Failed Stadt Berlin. Die ersten acht Teile von „Jenseits des Geldes“ sind ebenfalls im Engelsdorfer Verlag erschienen, und zwar in den Jahren 2011, 2012, 2013 sowie 2018, 2019, 2020, 2021 und 2022.

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    Verfasst von Bernd Niquet
    Bella Italia: Das sind doch nur die Übergangswirren! Wir werden doch sowieso bald alle überrollt