Börsentourismus: Erholung vom Anlage- und Arbeitsstress?
Bald beginnt die Urlaubszeit. Wie wäre es mit einer Studienreise für Börsianer? Börsen gibt es nicht nur in Form von Kapitalmarktinstitutionen oder Börsenaktien (Deutsche Börse) sondern auch - wenn es sich nicht gerade eine elektronische Handelsplattform handelt - als den physischen Marktplatz mit einem historischen Gebäude, spezifischen Marktregeln und einer langen Tradition. Die letzte kann Jahrhunderte alt sein. Während die ersten beiden Erscheinungsformen theoretisch ergründbar sind, hinterlässt ein Börsenbesuch erst so richtig Eindruck. Sicherlich liefern bereits Youtube-Kurzfilme hierzu die ersten Vorstellungen. Dennoch sorgt erst die Ortsbesichtigung für Spannung, Aufregung oder eben Entspannung. So wird zum Standardprogramm des New York-Trips eines Börsianers die Erkundung der berühmt-berüchtigte Wallstreet gehören. Wer von den Börsianern hat aber schon die vielen anderen Traditionsbörsen dieser Welt oder die exotischen fernen Marktplätze der BRICS-Staaten persönlich in Augenschein genommen? Eine Visite lohnt. Auch dem leidenschaftlichen Privatanleger tut eine solche Entspannung gut.
Kleines Team, die Entspannung und keine Börsentipps suchen das Ziel
Fonds- und Asset Manager prahlen oft damit, durch Dienstreisen und Roadshows in unbekannte „Anlageländer“ und den Treffen mit lokalen Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik ein dezidiertes Bild über die Anlagechancen gemacht zu haben. Bei solchen exklusiven „Studienreisen“ kommt renditemäßig meistens nicht viel heraus. Die Professionalität wird dennoch nachgewiesen. Der Privatanleger, der sich in dortige Regionen verirrt, wird hier kaum nach heißen Anlagetipps suchen. Er darf andererseits sehr wohl als Börsentourist diese Ausflüge als Entspannungs- und Studienreisereise betrachten.
Sinnvoll ist, wenn er dabei nicht die teuren Dienste eines auf Business- und Eventtrips spezialisierten Reiseunternehmens in Anspruch nimmt, sondern Geleichgesinnte findet und sich gut vorbereitet. Im Mittelpunkt seines Vorhabens, welches das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden wird, sollten unbedingt der Besuch der Leitbörse und die Kontakte mit örtlichen Fachleuten stehen. Das müssen nicht unbedingt illustre Namen, wie bei den Fondsmanagern, sein.
Das 1 x 1 über Wirtschaft und Kapitalmarkt mit im Reisegepäck, aber die Qual der Wahl
Eine zueinander „passende Profigruppe“ zu finden wird nicht einfache sein, weil die Aspiranten sich in der Regel nicht können. Schließlich hilft uns in heutiger Zeit aber das Internet. Sich weiterhin mit zu vielen Einzelinformationen über die Wirtschaft und die Börse des Reiselandes zu überfrachten, ist ebenfalls nicht ratsam. Kennern darf unterstellt werden, dass sie selber einschätzen vermögen, wie weit ihr Eigen- gehen solle. Am Anfang muss immer das stehen, was weniger bekannt ist. Die Besichtigungstour kann somit mit den BRICS- oder der Osteuropa-Börsen beginnen. Die weltberühmten Weltplätze wie New York, London, Paris oder Tokio - sofern noch unbekannt - dürfen später nachgeholt werden.
Kontakte vor Ort, nicht unbedingt mit „Amtspersonen“
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Als nächster Schritt stünde die Kontaktsuche nach örtlichen Adressen, um direkt nach Ankunft in Medias re einzusteigen. Von fernem Deutschland aus betrieben, wird auch diese Aufgabe nur mühsam zu erledigen aber letztendlich spannend sein. Als Einstieg bietet sich ein Versuch mit den offiziellen IR-Abteilungen der Gastbörsen, Namens- und Institutionssuche in Fachzeitschriften, an Finanzlehrstühlen oder örtlichen Unternehmensverbänden anzufangen. Es kann etwas dauen die richtigen Leute zu finden und der Erfolg stellt nicht selbstverständlich nicht eine. Andererseits „sprechen passionierte Börsianer weltweit die gleiche Sprache“ - damit ist nicht nur das Englisch gemeint - und haben sich vieles zu sagen, wenn sie sich endlich gefunden haben. In diesem Kontext ist aber von der Inanspruchnahme unserer Auslandvertretungen bei der Adressensuche abzuraten. Zu viel Bürokratie, zu wenig Kompetenz - so die einhelligen Erfahrungen vieler Enttäuschter.
Das mag zunächst alles theoretisch klingen. Andererseits ist ein agiles Team im Notfall auch imstande ein Minimalprogramm realisieren und ohne örtliche Partner und Helfer auskommen. Schon Reisen allein bilden. Dieser Fall ist dennoch wenig wahrscheinlich. Deutschland genießt als führende Industrienation gerade in den Emerging Markets, nicht nur wegen VW und Daimler, immer noch einen exzellenten Namen und die Einheimischen bleiben uns sehr aufgeschlossen. An einem Treffen mit deutschen „Investoren“ wären viele interessiert.
Schlussbemerkung
Als Pensionär hat der Autor, Ex-Börsenanalyst, jetzt Zeit seine Reisewünsche zu erfüllen. Er schaut sich die Länder durch die ökonomische Brille an. Wie zu erwarten war, ist die Börsenwelt – mit der er hin und wieder in Berührung kommt - „da draußen“ spannend und steckt voller Überraschungen. Hier drei Beispiele: Während das nahe, industriel gut entwickelte Weißrussland als letztes Land in Europa noch keine Publikumsbörse besitzt, konnte der Autor in der fernen Mongolei auch als inoffizieller Gast an Börse Ulan Bator die volle Gastfreundlichkeit genießen. An der BOVESTA in Sao Paulo wäre man wiederum sofort bereit auch eine ganze Gruppe deutscher „Börsentouristen“ zu empfangen. Für Kontakte mit der hiesigen Universität und örtlichen Unternehmen wäre zusätzlich gesorgt - wurde ihm versichert. Selbst wenn in solchen Bekundungen viel Höflichkeit stecken mag, kann die Idee, Börsenreisen zu organisieren und hierfür Mitstreiter zu suchen, nicht verkehrt sein.
Sicherlich werden nicht wenige Börsenclubs längst darauf ebenfalls gekommen sein. Das schadet nicht. Was zählt, ist Initiative, ein durchdachtes Reiseprogramm und ein guter Teamgeist. Auf ein gutes Abenteuer!
Dr. Viktor Heese: Finanzanalyst und Fachbuchautor; www.finanzer.eu