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     1483  0 Kommentare Aktien extrem unterbewertet?

    Jetzt bekommen wir also Christine Lagarde als neue EZB-Präsidentin, und damit die Gewissheit, dass die Zinsen weiterhin bei null und darunter bleiben werden.

     

    Es gibt ja sogar Leute, die sagen, es würde niemals mehr Zinsen bei uns geben, weil dann nämlich die gesamten Staatsfinanzen überall zusammenkrachen würden.

     

    Ich denke dabei vor allem an die Aktien. Als ich jung und die Welt noch normal war, gab es einmal ein Modell, nach dem der Gegenwartswert einer Aktie sich aus der Diskontierung ihrer zukünftigen Erträge ergab. Was ja auch einigen Sinn macht.

     

    Und ich sehe nicht, dass sich heutzutage ein völlig neues und anderes Modell zur Aktienbewertung etabliert hat als dieses Capital Asset Pricing Model.

     

    Was mich bei all dem immer wieder erstaunt, ist, dass sich eigentlich niemand Gedanken über die Konsequenzen der Nullzinsen auf dieses Modell macht. Denn um es einmal pointiert auf den Punkt zu bringen: Wenn der Zins null ist, dann ist da nichts, mit dem man die zukünftigen Erträge abdiskontieren könnte. (Auf die Risikoprämie komme ich gleich.)

     

    Liegen die Zinsen bei null und bleiben sie das, wovon wir heute mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgehen können, müssten die Aktien, mathematisch betrachtet, eigentlich bei unendlich stehen.

     

    Ein Dax von knapp über 12.000 Punkten ist daher eigentlich ziemlich mickerig. Bis zur Unendlichkeit ist jedenfalls noch etwas Luft.

     

    Warum ist das jedoch so? Warum stehen die Aktien nicht höher? Ich sehe zwei Möglichkeiten:

     

    (1) Es existieren extreme Risiken, die es vorher nicht gegeben hat.

    (2) Das Modell der Aktienbewertung ist Quatsch.

     

    Ich persönlich denke, (1) trifft bedingt zu, (2) hingegen voll.

     

    Natürlich ist die Nullzinspolitik ein Schwindelspiel, ein aufgeblasener Ballon, der irgendwann zerplatzen wird. Doch wenn das passiert, trifft es die Staatsanleihen wesentlich stärker als die Aktien. Staatsanleihen stehen heute auf einem historischen Hoch, und zwar auf dem höchsten Punkt, seit es überhaupt Anleihen gibt.

     

    Niemals zuvor hat es in der Geschichte Staatsanleihen gegeben, bei denen der Staat weniger zurückzahlen muss, als er geliehen hat. Jedenfalls nicht in freien Märkten.

     

    Die Staatsanleihen stehen daher eigentlich strenggenommen bereits bei unendlich. Denn unendlich ist dort, wo es nicht mehr weitergeht. Und das ist hier der Fall.

     

    Doch wenn bei den Anleihen keine extremen Risiken, die es vorher nicht gegeben hat, jetzt in die Bewertungen einfließen, ist es wenig plausibel, davon auszugehen, dass es sie bei den Aktien gibt.

     

    Somit bleibt eigentlich nur die Variante (2). Das Modell der Aktienbewertung ist falsch, alle Aktienkursmodelle sind nicht mehr als einen Furz wert.

     

    Das ist natürlich etwas flapsig ausgedrückt, doch es steckt Methode dahinter. Denn so gelangt man direkt zu dem einzigen großen Ökonomen, der aus meiner Sicht den Aktienmarkt wirklich verstanden und angemessen thematisiert hat, John Maynard Keynes.

     

    Denn Keynes war es bereits in den 30er Jahren klar, dass die Aktienbewertung sich nicht rational errechnen lässt, dass jedes Denken in einer festen Risikoprämie Unsinn ist, sondern einer stillschweigenden Übereinkunft entspricht, und wir daher beim Einschätzen eines Engagements am Aktienmarkt „die Nerven und die Hysterien, sogar die Verdauung und die Wetterabhängigkeit jener berücksichtigen müssen, die dort agieren.“

     

    In diesem Sinne wünsche ich ein gutes Bäuerchen. Und vielleicht auch ein paar Käufchen.

     

     

     

     


    Bernd Niquet
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    DER NEUNTE BAND VON "JENSEITS DES GELDES" IST ERSCHIENEN: Bernd Niquet, Jenseits des Geldes, 9. Teil, Leipzig 2023, 648 Seiten, 23,50 Euro

    Leseprobe: "Jenseits des Geldes".

    Eigentlich war ich vollkommen sicher, dass jetzt die Zeit dieser ganzen Auseinandersetzungen hinter mir lag. Deswegen hatte ich auch extra meine Mietrechtschutzversicherung gekündigt. Dann habe ich aber doch einmal in die Betriebskostenabrechnung hineingeschaut und musste unwillkürlich rechnen. 29.220 Euro im Jahr 2018 für die Reinigung der Treppen und Flure, das sind 93 Euro pro Haus pro Woche. Ich würde das jeweils in zehn Minuten schaffen, doch selbst wenn die ungelernte Hilfskraft zwanzig Minuten braucht, sind das 279 Euro Stundenlohn, den die Leiharbeitsfirma dafür einfährt. Wer dabei nicht an Sizilien denkt, kann eigentlich nicht mehr voll bei Verstand sein.

    Bernd Niquet ist Jahrgang 1956 und wohnt immer noch am letzten grünen Zipfel der Failed Stadt Berlin. Die ersten acht Teile von „Jenseits des Geldes“ sind ebenfalls im Engelsdorfer Verlag erschienen, und zwar in den Jahren 2011, 2012, 2013 sowie 2018, 2019, 2020, 2021 und 2022.

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    Verfasst von Bernd Niquet
    Aktien extrem unterbewertet? Sind die Zinsen null, ist da nichts zum Diskontieren