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    Emerging Markets  31616  0 Kommentare Jetzt in die Türkei investieren: Himmelfahrtskommando oder Husarenstreich?

    Macht es Sinn, jetzt Türkei-Papiere als Rendite-Turbos ins Depot zu packen, da die vermeintlich sicheren Industrieländer-Bonds kaum noch was abwerfen? Was Kapitalmarkt-Experten von dieser Investment-Idee halten.

    Schnell wird deutlich, dass Anleger zu kurz springen, wenn sie nur auf den Rendite-Vergleich von Staatsanleihen schauen. Besonders im Fall Türkei lohne ein genauerer Blick auf die hohen Risiken, die aber auch eine besondere "Prämie" anbieten würden, wenn man dem Gedankengang von Adam Choragwicki, Leiter Rentenfondsmanagement bei Starcapital, folgen möchte: "Türkei-Anleihen haben nach der Lira-Krise im August 2018 ein attraktives Risiko/Ertragsprofil erreicht. Wir haben daraufhin unser Engagement in türkischen Staats- wie auch Unternehmensanleihen in EUR oder USD aufgestockt. Die Verschuldung ist deutlich niedriger als die von vielen Staaten der Eurozone. Die politische Unsicherheit schlägt jedoch immer wieder auf die Stimmung der Investoren. Wir versuchen von dieser 'Schurken-Prämie' zu profitieren", sagte der Fondsmanager im Gespräch mit der wallstreet:online-Redaktion.

    Dass der Rendite-Vergleich zu oberflächlich für eine fundierte Investmententscheidung sei, meint Dmitri Barinov, Fondsmanager bei Union Investment: "Länderspezifische Faktoren spielen eine große Rolle. Dazu zählen etwa gestiegene Fiskalausgaben, der Ausgang von Wahlen, das Risiko eines bewaffneten Konflikts und die Gefahr von US-Sanktionen. Ein einfaches Beispiel verdeutlicht, dass eine Kaufentscheidung nur aus Renditegesichtspunkten nicht ausreicht: Es ist vor allem in turbulenten Zeiten deutlich einfacher, eine Anleihe aus dem Euroraum wieder zu verkaufen als eine EM-Anleihe", so Barinov.

    Henning Vöpel, Direktor und Geschäftsführer des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI), weist ebenfalls daraufhin, dass neben Renditevergleichen die Risiken ein zentraler Faktor bei der  Entscheidung für oder gegen ein Investment sind: "Das hängt sehr von dem Schwellenland ab. Generell spiegeln die Renditeunterschiede nicht das wahre Emittentenrisiko wider, gerade in Zeiten von Anleihemarktblasen". Vöpels Antwort auf die Frage nach Türkei-Anleihen als Rendite-Beimischung ist unmissverständlich: "In Ländern wie der Türkei kommt ein hohes politisches Risiko hinzu. Also eher: nein".

    Auch Grant Webster, Portfolio Manager im Fixed Income Team bei Investec AM, hält sein Pulver beim Anlageziel Türkei trocken: "In einigen Jahren könnte sich herausstellen, dass die momentane Situation eine günstige Einstiegschance gewesen wäre, aber viel wird von den Entscheidungen der Behörden abhängen. Derzeit sind wir noch relativ konservativ über alle Portfolios hinweg positioniert und bevorzugen Investitionen in anderen Ländern, die unserer Einschätzung nach bessere Fundamentaldaten und eine konstruktivere politische Landschaft aufweisen", sagte Webster.

    Laut Barinov müssen sich Anleger bei Türkei-Investments darüber im Klaren sein, dass sie vor allem die hohe Volatilität aushalten müssen: "Um die Reputation der Türkei ist es unter anderem aufgrund der regelmäßigen Angriffe von Präsident Recep Tayyip Erdogan z. B. auf die Unabhängigkeit der Zentralbank nicht gut bestellt. Auf der anderen Seite hat sich jedoch die wirtschaftliche Lage in den vergangenen Monaten stabilisiert. Das ist eine interessante Konstellation, in der je nach Marktlage die eine oder andere Seite die Überhand gewinnt. Wir bewerten das Verhältnis von erwarteter Rendite zum Risiko (Rendite-Risiko-Profil) bei türkischen Staatsanleihen durchaus als attraktiv, warnen aber auch vor erhöhter Volatilität angesichts der geopolitischen Risiken", erklärte Barinov.

    Walter Liebe, Senior Investment Advisor bei Pictet Asset Management Deutschland, rät von Einzelinvestments in türkische Papiere aufgrund des zu hohen Risikos ab: "Es ist für einen Anleger nicht empfehlenswert, einzelne Schwellenländer für ihre Investments herauszupicken, da die Gefahr von massiven Verlusten enorm ist. So hat ein Anleger in türkischen Lira-Anleihen (inklusive Zinskupon) in den letzten drei Jahren die Hälfte seines Kapitals verloren", berichtet der Asset-Manager.

    Für Anleger, die das Risiko eines riskanteren Einzelinvestments, wie z. B. das in eine Türkei-Anleihe, scheuen, hat Dominik Poiger, Produktmanager bei VanEck, einen Tipp parat: "Wie die jüngsten Turbulenzen in Argentinien zeigen, ist es für Anleger durchaus ratsam, statt in einzelne Staatsanleihen/Länder zu investieren, ein mehrere Schwellenländer umfassendes Indexprodukt zu verwenden. Die breite Diversifikation von länderspezifischen Risiken ist ein klarer Vorteil eines Indexkonzepts, bietet Anlegern aber gleichzeitig die Möglichkeit, von den höheren Renditen in Schwellenländern zu profitieren", sagte Poiger.

    Was bleibt als zusammenfassende Antwort auf die Frage, ob türkische Staatsanleihen als Beimischung Sinn machen? Torsten Hähn, aktiv im Fixed Income Research Emerging Markets & Corporates der DZ Bank, bringt es zusammenfassend auf den Punkt: "Euro-Anleihen der Türkei können für entsprechend risikobereite Investoren einen Beitrag dazu leisten, das insgesamt gefallene Renditeniveau am Bondmarkt teilweise zu kompensieren. Die Anleihen sind vor allem aufgrund ihrer deutlich niedrigeren Bonitätseinstufung aber keineswegs vergleichbar mit den Bonds großer Industriestaaten und kommen nur für den mutmaßlich kleinen Kreis von Anlegern in Frage, der bereit ist, für die höhere Rendite auch ein merklich höheres Länderrisiko einzugehen und teilweise markante Spread-Bewegungen auszuhalten", resümiert Hähn.

    Autor: Christoph Morisse





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