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    Aktuelle Lage der Pharmabranche in der Corona-Krise

    Unter Investoren wird sie bereits als großer Gewinner der Corona-Krise gefeiert. Andererseits steht sie immer stärker unter Druck: Was bedeutet die Corona-Pandemie für die Pharmabranche? Apothekenverbände fordern schon lange, Lieferengpässe zu beseitigen und eine Versorgung in Europa sicherzustellen. Die aktuelle Krise kann ein Anlass sein, dass Politik und Wirtschaft endlich gemeinsame und wirksame Lösungen entwickeln.

    Allerorten wird über die Knappheit von Desinfektionsmitteln und Schutzausrüstung berichtet. Kaum eine Apotheke hat noch Vorräte dieser Produkte und auch Arztpraxen, Krankenhäuser und Pflegeheime leiden unter dem Mangel. Derweil ist Toilettenpapierknappheit zu einem geflügelten Wort für diese Krise aus Sicht der Haushalte geworden. Doch wie steht es derzeit um die Versorgung mit Medikamenten? Was bedeutet die Corona-Krise für Apotheken und Hersteller pharmazeutischer Produkte?

    Lieferschwierigkeiten schon vor der Pandemie

    Schon lange, bevor die Corona-Pandemie ihre aktuelle Dramatik entwickelt hat, klagten Apotheken und Ärzte über Engpässe in der Versorgung mit Arzneimitteln. Diese Knappheit hat bisher nicht das Ausmaß erreicht, das akut bei der Versorgung mit Desinfektionsmitteln, Schutzmasken und anderer Schutzkleidung besteht, doch mahnten Branchenvertreter schon lange Maßnahmen an. Wie sich die derzeitige Lage in Bezug auf die Versorgung mit Medikamenten entwickeln wird, kann derweil schwer vorhergesagt werden. Die Entwicklung der aktuellen Krise ist dazu zu dynamisch. Jeden Tag verändern sich Parameter, sodass eine Prognose kaum vertretbar zu erstellen ist. Den Grund für die längerfristige Verknappung von Medizinprodukten und Medikamenten sehen Apotheker aber in strategischen Entwicklungen, nicht in der Ausbreitung einer Krise. So seien Produktionskapazitäten seit einigen Jahren verstärkt nach Ostasien verlagert worden. So hat sich die weltweite Produktion von Wirkstoffen in diesem Teil der Welt zentralisiert, währen Produktionsstätten aus Europa oder Amerika immer mehr abwanderten. Das hat dazu geführt, dass Produktionsausfälle und Qualitätsprobleme in diesen Produktionsstätten weltweit zu einem Mangel an Produkten führen und das in kürzester Zeit.

    Hoher Kostendruck Ursache für Probleme

    Vor allem der Preisdruck am Markt hat zu dieser Verlagerung und Zentralisierung der Produktion geführt. Verstärkt wurde dieser Trend, seit im Jahr 2007 Rabattverträge zwischen Pharmaunternehmen und gesetzlichen Krankenversicherungen in Deutschland eingeführt wurden, um hohe Kosten für pharmazeutische Produkte zu senken. Diese Verträge sehen vor, dass Krankenkassen nur ein bestimmtes Medikament oder ein bestimmtes Sortiment eines Herstellers für ihre Versicherten abnehmen. Im Gegenzug erhalten sie einen Rabatt auf Herstellerpreis. Dieses Vorgehen ist auf den Kostendruck bei den gesetzlichen Krankenversicherungen zurückzuführen. Der Apothekerverband hat für dieses Ansinnen sogar Verständnis. Allerdings müssten die gesetzlichen Rahmenbedingungen so angepasst werden, dass die Produktion wenigstens zum Teil in Europa gehalten wird und bestimmte Produktionsmengen garantiert werden.
     Preisdruck kommt für die Pharmaindustrie auch von anderer Seite. So setzen besonders in dieser Krise Vergleichsportale im Internet die Pharmabranche verstärkt unter Druck. Portale wie Medizinklick.de ermöglichen es Abnehmern, gleichwertige Medikamente zu garantiert günstigen Preisen zu beziehen. Das verstärkt den Wettbewerb in der Branche und erfordert hohe Preisnachlässe aufseiten der Hersteller.

    Corona-Krise wird Mangel weiter verschärfen

    Noch sind die Auswirkungen der Pandemie bei der Versorgung mit Medikamenten nicht spürbar. Branchenexperten rechnen allerdings damit, dass sich das in den kommenden Monaten ändern wird. Ein Grund dafür ist, dass viele Wirkstoffe in der chinesischen Provinz Hubei produziert werden, ausgerechnet dem Ausgangspunkt der Corona Epidemie. Fehlen die Produkte aus diesen Fabriken, kommen Lieferketten auf der ganzen Welt zum Erliegen. Das führt auch dazu, dass beispielsweise Hersteller in Indien oder Korea nicht weiterarbeiten können, weil Grundstoffe für die Medikamentenherstellung fehlen.
     Hinzu kommt, dass Länder, in denen Medikamente tatsächlich hergestellt werden, nun mit Exportbeschränkungen oder Exportstopps reagieren könnten, um die Versorgung der eigenen Bevölkerung sicherzustellen. Hier wird besonders deutlich, was eine fehlende Produktion in Europa für die Versorgung von Patientinnen und Patienten vor Ort bedeutet. Indien hat solche Maßnahmen bereits angekündigt. Betroffen sein werden davon unter anderem Paracetamol und Antibiotika. Branchenvertreter rechnen derzeit zwar nicht mit langfristigen Lieferausfällen, die hohe Dynamik der aktuellen Lage macht eine verlässliche Prognose allerdings unmöglich.

    Apotheken spüren das Problem schon lange

    Für Apotheker, Ärzte und Patienten sind all das keine neuen Nachrichten. Knapp zwei Drittel aller Apotheker in Deutschland muss nach Angaben der Bundesvereinigung Deutscher Apothekenverbände 10 Prozent ihrer Arbeitszeit darauf aufwenden, mit Engpässen in der Versorgung umzugehen. Dabei suchen sie gemeinsam mit Großhandel und Medizinern nach Lösungen, die eine ausreichende Versorgung der Patienten sicherstellen. Dabei müssen häufig auch Kompromisse bei Preisen und der Art der Präparate gemacht werden. Zu den aktuell am häufigsten betroffenen Medikamentengruppen gehören Schmerzmittel, insbesondere Ibuprofen, Schilddrüsenmedikamente, Antidepressiva oder Säureblocker zur Behandlung von Magenproblemen.

    Was bedeutet diese Entwicklung für Patienten?

    Bisher sorgten die Versorgungsengpässe nicht dafür, dass Patienten nicht mit dringend benötigten Arzneimitteln versorgt werden konnten. Allerdings mussten Apotheken in vielen Fällen bei der Beschaffung auf andere Präparate ausweichen als bestellt waren. Das führt auch dazu, dass sich Patienten umgewöhnen müssen, in der Form, wie ihre Medikamente anzuwenden sind. Nicht nur Darreichungsform oder die Farbe ändert sich mit dem Präparat. Auch die Dosierung kann abweichen. Wenn Patienten hier nicht ausreichen aufgeklärt sind, kann auch der Wechsel des Produkts ungewollte Folgen haben. Apotheker kostet dies zudem viel Zeit, weil sie Patienten beruhigen und versichern müssen, dass das neue Präparat den Anforderungen entspricht. Außerdem müssen sie erklären, wie das neue Medikament einzunehmen ist und auf Unterschiede zum alten Präparat hinweisen.

    Produktion in Europa soll gefördert werden

    Mittelfristig wird nur eine Verlagerung der Produktion an unterschiedliche Standorte auf der Welt zu einer sichereren Versorgung mit Medikamenten führen können. Die Vertreter von Apothekerinnen und Apothekern fordern daher, die gesetzlichen Rahmenbedingungen so anzupassen, dass es für die Pharmakonzerne wieder möglich wird, in Europa zu produzieren, sodass auch in Krisenzeiten Arzneimittel vor Ort verfügbar sind. Außerdem fordern sie die Einrichtung eines Frühwarnsystems, um sich auf Engpässe rechtzeitig und nachhaltig einstellen zu können. Dieses System erfordert es, dass der Großhandel Engpässe bei Lieferungen zentral meldet und Apotheken und Ärzte rechtzeitig darüber informiert werden. Diese können dann reagieren, indem sie Lagerbestände anpassen. Auch über die Rabattverträge selbst kann eine gewisse Sicherheit geschaffen werden. So kann beispielsweise darin vereinbart werden, dass Produzenten über ein vielfältiges Netzwerk an Wirkstofflieferanten versorgt werden. Ein Ausfall an einem Produktionsstandort hätte dann nicht zur Folge, dass die Produktion ganz eingestellt werden muss. Die Corona-Pandemie bietet einen guten Anlass, über solche Fragen erneut nachzudenken und die Versorgungssicherheit in der pharmazeutischen Industrie langfristig zu stabilisieren. Nun sind Politik und Wirtschaft gefragt, gemeinsam nachhaltige Konzepte zu erarbeiten, damit in künftigen Krisen die Versorgung der Bevölkerung in Europa sichergestellt ist.




    Martin Brosy
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    Martin Brosy ist Tradingcoach und Mitbegründer der Trading Ausbildung www.trademy.de. Großen Einfluss auf sein ökonomisches Weltbild haben die Publikationen von Karl-Heinz Paqué und Joseph Schumpeter. Als Börsianer inspirieren ihn die Ansätze von Buffett, Burry, Livermore und Lynch.
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    Verfasst von Martin Brosy
    Aktuelle Lage der Pharmabranche in der Corona-Krise Unter Investoren wird sie bereits als großer Gewinner der Corona-Krise gefeiert. Andererseits steht sie immer stärker unter Druck: Was bedeutet die Corona-Pandemie für die Pharmabranche? Apothekenverbände fordern schon lange, Lieferengpässe zu …