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     272  0 Kommentare Intershop – vom Tiger zum Bettvorleger

    Die gestrigen Zahlen von Intershop enttäuschten nicht. Kein Wunder, sie waren bereits bekannt. Enttäuschend sind die Massnahmen, die der Vorstand eingeleitet hat, um aus der Krise heraus zu kommen. So ist die ISH-Aktie nach Expertenmeinung nun auch für eine Übernahme immer noch zu teuer.

    Die USA ist für europäische Unternehmen ein heißes Pflaster. Amerikanische Vorstände bringen allenfalls Anbietern von Maschinen, Anlagen und Hardware-Spezialitäten aus dem fernen Ausland eine gewisse Achtung entgegen. Aber alles was mit Informationstechnologie und Software zu tun hat, ist in Amerika erfunden worden und wird von amerikanischen Anbietern gekauft.

    Ausnahmen bestätigen die Regel. SAP z.B. scheint es geschafft zu haben – nach vielen Problemen und noch mehr Geld. Schlüssel für den Softwarehersteller war letztlich, in den USA nicht nur ein paar „Vertriebshansel“ herum zu schicken, sondern dort eine „richtige“ Firma aufzubauen mit allem, was dazu gehört -einschließlich einer starken Entwicklungsabteilung.

    hat einen Schritt in die richtige Richtung gemacht, man hat bestimmte technische Funktionen in den USA angesiedelt, man hat angesehene Amerikaner wie Ex-Compaq-Chef Pfeiffer ins Boot geholt. Hier hätte man konsequent weiter gehen müssen, nun macht man zwei Schritte zurück: Wichtige Abteilungen werden abgezogen, der Vertrieb verkleinert usw. Das bedeutet möglicherweise das Aus in den USA.

    Schlimmer noch – es beschädigt das Standing des Anbieters von E-Commerce-Software überall in der Welt. Paradoxerweise blicken nämlich die IT-Entscheider in Europa und anderswo mit Ehrfurcht nach Amerika. Anbieter, die entweder von dort kommen oder mindestens starke Verbindungen dorthin nachweisen können, sind regelmäßig im Vorteil. Zum Teil zu Recht – die Trends werden immer noch dort jenseits des Atlantiks gesetzt.

    Es ist kaum anzunehmen, dass den Mannen um Intershop-Vorstand Schambach diese Hintergründe unbekannt sind. Also muss es wohl wichtigere oder dringendere Gründe für den Intershop-Rückzug aus den USA geben. Denkbar ist, dass man in Jena das benötigte Kapital für eine Vorwärtsstrategie nicht hat. Oder man glaubt nicht daran, es vom Kapitalmarkt zu bekommen. Schlimmstenfalls ist es wirklich „Matthei am letzten“.

    Geld hin, Geld her – in einem anderen Bereich ist ein Ende der bisherigen Glückseligkeit abzusehen. Im Zusammenhang auch mit den mauen Zahlen von Wettbewerber Broadvision wird deutlich: E-Commerce-Software als bunte Insel ist Schnee von gestern. Das können heute viele – nicht nur die beiden genannten Unternehmen.

    Wo liegt denn das wirkliche Potenzial von E-Commerce? Die Stichworte heißen Transaktionskosten, Lagerkosten, Kapitalumschlag. E-Commerce im Intershop-Sinne ist nur ein kleines Front-End. Dahinter spielt die Musik. Wenn eine Bestellung über das Internet hereinkommt, muss sie sofort in ihre Bestandteile zerlegt werden, automatisch wird der Bedarf an die Zulieferer gemeldet, automatisch startet die Produktion, automatisch wandert die Ware zum Transporteur und von dort zum Kunden. In dieser Kette, bei deren Realisierung wir noch einiges vor uns haben, ist das wichtigste Stichwort gegenwärtig SCM – Supply Chain Management. Elektronische Kataloge und ihre Anbindung an ein Verkaufssystem sind da nur eine Rand-Erscheinung.

    Das ist vermutlich die bittere Wahrheit hinter dem Intershop-Debakel. So gesehen, könnten die Beobachter Recht haben, die das Papier immer noch für zu teuer halten.



    Klaus Singer
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    Das Buch von Robert Rethfeld und Klaus Singer: Weltsichten - Weitsichten. Ein Ausblick in die Zukunft der Weltwirtschaft.
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    Verfasst von Klaus Singer
    Intershop – vom Tiger zum Bettvorleger Die gestrigen Zahlen von Intershop enttäuschten nicht. Kein Wunder, sie waren bereits bekannt. Enttäuschend sind die Massnahmen, die der Vorstand eingeleitet hat, um aus der Krise heraus zu kommen. So ist die ISH-Aktie nach Expertenmeinung nun …

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