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     282  0 Kommentare Jede Katastrophe bietet eine Chance

    Vor kurzem erhielt der Verfasser elektronische Post. Absender ist der Gründer und Chef von Artificial Life, einem US-Hersteller von Software-Robotern. Das Unternehmen unterhält Büros in New York. „Glücklicherweise sind wir verschont geblieben und alle Mitarbeiter sind ok, “ heißt es da. „Es ist grausam, so etwas miterleben zu muessen. Aber die Menschen hier halten zusammen. Jetzt, wo der erste Schock vorbei ist, kommt grosse Wut auf... Die Welt wird sich veraendern nach diesem Anschlag. E.Schoeneburg.“ Die in der Mail ebenfalls geäußerte Sorge um die Internet-Firma „Triple Hop“ mit Firmensitz im WTC, erweist sich jetzt glücklicherweise als grundlos. Das Unternehmen hat auf seiner Web-Seite erklärt, dass die Mitarbeiter dem Inferno entkommen konnten.

    „Die Welt wird sich verändern.“ Diesen Satz hört und liest man in diesen Tagen oft. Und man versteht ihn unter dem Eindruck der schockierenden Ereignisse erst einmal automatisch negativ. Bezogen auf die Börse überwiegt die Angst vor einer (weiteren) Baisse.

    Ist das die wahrscheinlichste Richtung? Ist nach einer begrenzten Phase der Unsicherheit nicht genau das Gegenteil denkbar? Die Geschichte hat oft gezeigt, dass Schockereignisse positive Energien frei setzen. Die deutsche Nachkriegsentwicklung spricht dazu eine deutliche Sprache. Auch andere Katastrophen haben in der Regel ungeahnte produktive Kollektivkräfte freigesetzt. Lang andauernde soziale Agonie war eher die Ausnahme.

    Ob der katastrophale Terrorakt die US-Amerikaner zusammenschließt und das Land zu neuer Stärke auflaufen lässt, das ist jetzt die entscheidende Frage. Rein ökonomisch sind die Folgen des Anschlags nicht so gravierend, dass die Entwicklung des Bruttosozialprodukts zwangsläufig einen scharfen Knick bekommen muss. Das hört sich angesichts des menschlichen Elends kaltschnäuzig an, ist aber so. Von hier droht wohl keine wesentliche (zusätzliche) Rezessionsgefahr.

    Die entscheidende Rolle kommt dem amerikanischen Konsumverhalten zu. Das amerikanische Bruttosozialprodukt wird zu zwei Dritteln vom privaten Verbrauch bestimmt. Wenn die Haushalte ihre stark auf Verschuldung aufgebaute Ausgabenpolitik aufgeben, wird das worst-case-Szenario schnell erreicht. Dann scheint eine Rezession sicher. Mehr noch: Auf Grund des Bruchs des bisher eingefahrenen Systems könnte daraus sogar eine nachhaltige, nur schwer zu durchbrechende Negativspirale erwachsen.

    Wenn das amerikanische „Innere“ keine Risse bekommen hat, wenn Zuversicht, Flexibiltät, Energie, wenn all das, was wir mit dem "american way of life" verbinden, überdauern, stehen die Chancen nicht schlecht, dass der grauenhafte Anschlag den Ausschlag gibt, den Tanz der Wirtschafts-Bären bald zu beenden.

    Die internationale Solidarität rund um den Globus unterstützt den Eindruck, dass wir an einem Wendepunkt stehen. Je mehr Menschen auf dieser Welt sich dies bewusst machen, nach Trauer und Schock nach vorne, statt in den Charts nach unten zu schauen, je eher können sich neue Visionen entwickeln. Und die Börse handelt Hoffnung und Zukunft...

    Genau dann geht die Rechnung der Urheber der Terroranschläge nicht auf. In der eingangs erwähnten Email wird von Wut gesprochen. Wut setzt Kräfte frei...


    Klaus Singer
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    Das Buch von Robert Rethfeld und Klaus Singer: Weltsichten - Weitsichten. Ein Ausblick in die Zukunft der Weltwirtschaft.
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