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     2885  0 Kommentare Wo stehen wir im Konjunkturzyklus?

    Entwerfen wir zunächst ein idealisiertes Bild. John J. Murphy, Altmeister der technischen Analyse, hat Anfang der 1990er Jahre auf ein Modell von Martin Pring zurückgegriffen. Es untersucht die Kursentwicklung von drei Sektoren der Finanzmärkte, Bonds, Aktien und Rohstoffe. Jede Phase des Modells wird durch Drehung der Preisbewegung eines Sektors charakterisiert. Es ergeben sich sechs idealtypische Konjunkturphasen:

    In Phase 1 herrscht Rezession, der Rentenmarkt findet seinen Boden. Die Anleihekurse drehen nach oben, Aktienkurse und Rohstoffpreise fallen weiter. In Phase 2 lässt die Dynamik des Konjunkturabschwungs nach, die makroökonomischen Frühindikatoren stabilisieren sich allmählich. Die Zinsen geben deutlich weiter nach. Der Aktienmarkt erreicht seinen Boden, die Kurse drehen nach oben. Die Rohstoffpreise setzen ihre Abwärtsbewegung fort. Die Phase 3 bringt den Übergang in den Konjunkturaufschwung. Die Rohstoffpreise finden ihren Boden und schwenken in einen Aufwärtstrend ein. Die Aktienkurse legen weiter zu. Die Zinsen fallen noch weiter, Anleihekurse steigen noch weiter.

    In Phase 4, dem konjunkturellen Aufschwung, zieht die Inflationsrate an. Zu Beginn dieser Phase erreichen die Zinsen ihren Tiefstand und steigen dann an, i.d.R. begleitet von ersten Zinserhöhungen der Notenbanken. Die Anleihekurse fallen, die Aktienkurse legen weiter zu. Die wirtschaftliche Belebung zieht die Rohstoffpreise hoch. In Phase 5 lässt die Dynamik des Aufschwungs nach. Die zunehmende Inflation führt zu weiteren Leitzinserhöhungen. Der Aktienmarkt erreicht seinen Gipfel. Rohstoffpreise und Zinsen steigen weiter, Anleihekurse fallen weiter. Die Phase 6 bezeichnet den Übergang in die Rezession. Die Rohstoffpreise gehen auf Talfahrt. Die Anleihekurse fallen noch weiter, die Zinsen steigen noch. Auch die Aktienkurse geben nach. Alle drei Asset-Klassen befinden sich in einer Abwärtsbewegung.

    Das Pring-Modell beschreibt eine idealtypische Rotation zwischen den drei betrachteten Segmenten der Finanzmärkte. „An Hoch-, sowie an Tiefpunkten beginnen Anleihen als erste, Aktien als zweite und Rohstoffe als dritte zu drehen“, stellt Murphy fest. Die Umkehr des Bondmarktes werde gewöhnlich durch eine Drehung der Rohstoffmärkte in die entgegengesetzte Richtung ausgelöst.

    Das Modell ist Grundlage für den Chart (siehe Chart!). Allerdings ist die Phase 6 nach Pring/Murphy hier die Phase 0 – siehe den unteren Teil-Chart. Zu erkennen ist, dass das Modell bis Mitte der 1990er Jahre in der aufsteigenden Abfolge der einzelnen Phasen recht gut funktionierte (Pfeile). Bis dahin waren deutliche Konjunkturzyklen von drei bis vier Jahren Dauer festzustellen, nach 1995 ist eine solche Abfolge eines idealtypisches „Pring“-Musters in dieser Darstellung nicht mehr ohne weiteres erkennbar.
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    Klaus Singer
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    Verfasst von Klaus Singer
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