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     3088  0 Kommentare Zinsprognosen liegen immer daneben

    In den letzten zwanzig Jahren, also fast so lange, wie ich an der Börse jetzt dabei bin, gab es für die Zinsen eigentlich nur eine einzige Richtung – nämlich nach unten. Die Prognosen der Banken, der „Experten“ und sonstigen Katzperten (Gibt es eigentlich DonL noch irgendwo? Kennt ihn noch jemand?) kannten in diesen ganzen langen zwei Jahrzehnten ebenfalls nur eine einzige Richtung – nämlich nach oben. Einen größeren systematischen Irrtum als bei den Zinsprognosen der letzten zwanzig Jahre hat es sicherlich an den Finanzmärkten in ihrer gesamten Geschichte kaum gegeben.

    Auch heute sieht die Situation keinesfalls anders aus als vor zwanzig Jahren. Damals, also 1984, habe ich dreißigjährige US-Zerobonds mit einer Emissionsrendite von 11,7 Prozent über die gesamte Laufzeit gekauft. Heute werde ich das sicherlich nicht noch einmal machen – aber dennoch: Ich habe durchaus die Phantasie, mir vorzustellen, dass wir auch in den nächsten zwanzig Jahren keine steigenden Zinsen bekommen. Schauen wir doch nur auf die Globalisierung, auf den Konkurrenzdruck, auf den Preisdruck. Meinen geliebten Prognostikern fehlt diese Phantasie hingegen immer noch – oder besser: jetzt natürlich erst recht.

    So rufen derzeit die Charttechniker den Ausbruch der Renditen aus dem Abwärtskanal aus. Mein Gott, wie oft haben sie das in den letzten zwei Dekaden schon getan. Was jedoch noch schlimmer ist, ist die Situation mancher Bären, die die Erklärungsnot nicht nur dazu treibt, Honig aus Abfallkörben zu naschen, sondern überdies auch noch jegliche Zinsentwicklung als fatal zu diagnostizieren.

    Bleiben die Zinsen nämlich weiter niedrig, so die eingeschworenen Untergangstheoretiker, dann bedeutet das, dass die Wirtschaft weiterhin künstlich gepusht wird, was wiederum nur böse enden kann. Würden die Zinsen jedoch weiter so ansteigen wie in den letzten Tagen, dann gnade uns erst recht Gott, denn dann würden ja die fundamentalen strukturellen Ungleichgewichte erst richtig zu Tage treten.

    Die Lage ist also hoffnungslos. Aber wohl keineswegs ernst. Letztlich bestimmt immer das, was wir sehen wollen, das, was wir dann auch wirklich sehen. Nehmen wir nur das Osterfest. Wer Eier suchen will, der wird auch welche finden. In diesem Sinne – ein schönes Osterfest und eine geruhsame Zinsentwicklung!


    email>berndniquet@t-online.de

    Bernd Niquet
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    DER NEUNTE BAND VON "JENSEITS DES GELDES" IST ERSCHIENEN: Bernd Niquet, Jenseits des Geldes, 9. Teil, Leipzig 2023, 648 Seiten, 23,50 Euro

    Leseprobe: "Jenseits des Geldes".

    Eigentlich war ich vollkommen sicher, dass jetzt die Zeit dieser ganzen Auseinandersetzungen hinter mir lag. Deswegen hatte ich auch extra meine Mietrechtschutzversicherung gekündigt. Dann habe ich aber doch einmal in die Betriebskostenabrechnung hineingeschaut und musste unwillkürlich rechnen. 29.220 Euro im Jahr 2018 für die Reinigung der Treppen und Flure, das sind 93 Euro pro Haus pro Woche. Ich würde das jeweils in zehn Minuten schaffen, doch selbst wenn die ungelernte Hilfskraft zwanzig Minuten braucht, sind das 279 Euro Stundenlohn, den die Leiharbeitsfirma dafür einfährt. Wer dabei nicht an Sizilien denkt, kann eigentlich nicht mehr voll bei Verstand sein.

    Bernd Niquet ist Jahrgang 1956 und wohnt immer noch am letzten grünen Zipfel der Failed Stadt Berlin. Die ersten acht Teile von „Jenseits des Geldes“ sind ebenfalls im Engelsdorfer Verlag erschienen, und zwar in den Jahren 2011, 2012, 2013 sowie 2018, 2019, 2020, 2021 und 2022.

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    Verfasst von Bernd Niquet
    Zinsprognosen liegen immer daneben In den letzten zwanzig Jahren, also fast so lange, wie ich an der Börse jetzt dabei bin, gab es für die Zinsen eigentlich nur eine einzige Richtung – nämlich nach unten. Die Prognosen der Banken, der „Experten“ und sonstigen Katzperten …